Dem Sieger eine Handvoll Erde
»Das war ja überhaupt das größte: Er sagte mir doch tatsächlich, daß er das Zeug nicht ausstehen könne und froh sei, nie wieder etwas trinken zu müssen.«
Jetzt brauchte Dunnet einen Schluck. »Und was wird jetzt aus dem armen Kerl? Versteh mich nicht falsch, James. Ich weiß genau, was die Sache dich kostet – du verlierst immerhin den besten Rennfahrer der Welt –, aber im Moment mache ich mir mehr Sorgen um Johnny.«
»Ich auch. Aber was kann man tun? Was kann man bloß tun?«
Der Mann, dem die Sorge der beiden Männer galt, legte zur gleichen Zeit eine auffallende Sorglosigkeit an den Tag. Für einen Mann, der vom Idol zur Persona non grata herabgesunken war, schien Johnny Harlow in völlig unangebrachtem Maße fröhlich. Als er vor dem Spiegel seine Krawatte zurechtrückte, pfiff er nicht gerade melodisch, aber vergnügt vor sich hin und unterbrach seine musikalische Darbietung nur ab und zu, um in sich hineinzulächeln. Er schlüpfte in sein Jackett, verließ sein Zimmer, ging in die Halle hinunter, bestellte sich an der Bar eine Orangeade und setzte sich damit an einen Tisch. Noch bevor er den ersten Schluck getrunken hatte, erschien Mary und setzte sich neben ihn. Sie nahm seine Hände in die ihren.
»Johnny!« sagte sie. »O Johnny!«
Harlow schaute sie besorgt an.
»Daddy hat es mir eben gesagt«, fuhr sie fort. »O Johnny, was machen wir jetzt bloß?«
»Wir?«
Sie schaute ihn eine Weile unverwandt und schweigend an, senkte dann den Blick und sagte: »Daß ich meine beiden besten Freunde an einem Tag verlieren muß!« Ihre Augen waren klar, aber in ihrer Stimme zitterten Tränen.
»Deine beiden … was meinst du damit?«
»Ich dachte, du wüßtest es.« Jetzt liefen ihr doch zwei Tränen über die Wangen. »Henry hat ernsthafte Schwierigkeiten mit seinem Herzen. Er muß gehen.«
»Henry? Mein Gott, das ist ja schrecklich.« Harlow drückte ihre Hände und blickte in die Ferne. »Der arme alte Henry. Was wird er denn jetzt machen?«
»Oh, dafür ist schon gesorgt.« Sie schnüffelte. »Daddy gibt ihm eine Stellung in Marseille.«
»Aha. Dann steht ja alles zum besten – Henry wurde sowieso allmählich zu alt für seinen jetzigen Job.«
Harlow schwieg eine Weile, offensichtlich in Gedanken versunken. Dann umfaßte er Marys Hände. »Mary, ich liebe dich. Warte auf mich. Ich bin gleich wieder da.«
Eine Minute später stand Harlow in MacAlpines Zimmer. Dunnet war immer noch da und machte den Eindruck, als könne er seine Wut nur mit größter Mühe im Zaum halten. MacAlpine sah man die Sorgen deutlich an, die ihn peinigten. Er schüttelte immer wieder den Kopf.
»Nein, nein, um keinen Preis«, sagte er. »Unter gar keinen Umständen. Nein, nein, nein. Das geht einfach nicht. Man kann nicht an einem Tag der beste Rennfahrer der Welt sein und am nächsten Morgen einen Transporter durch die Landschaft kutschieren. Mensch, Mann, ganz Europa würde sich über Sie halb totlachen.«
»Vielleicht.« Harlows Stimme war ruhig und ohne Bitterkeit. »Aber die Leute würden sich bestimmt ganz totlachen, wenn sie den wahren Grund für meine plötzliche Pensionierung kennen würden, Mr. MacAlpine.«
»Mr. MacAlpine? Mr. MacAlpine? Für Sie bin ich James. Das bin ich immer gewesen.«
»Jetzt nicht mehr, Sir. Sie könnten meinen Rücktritt mit meinen sogenannten Sehstörungen erklären und sagen, daß ich in Zukunft als spezieller Berater fungieren würde. Was wäre natürlicher? Außerdem brauchen Sie jemanden, der den Transporter fährt.«
MacAlpine schüttelte wieder den Kopf, und diesmal sehr entschieden. »Johnny Harlow wird niemals hinter dem Steuer eines meiner Transporter sitzen! Das ist mein letztes Wort.«
Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Harlow warf Dunnet einen fragenden Blick zu und erhielt als Antwort eine energische Kopfbewegung in Richtung der Tür. Harlow nickte und ging.
Dunnet ließ ein paar Sekunden verstreichen und sagte dann kühl: »Ich darf mich dann wohl von dir verabschieden, James MacAlpine. Ich habe jede Minute meiner Tätigkeit hier genossen – abgesehen von der letzten Minute.«
MacAlpine nahm die Hände vom Gesicht und starrte Dunnet verwundert an. »Was willst du damit sagen?«
»Ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Meine Gesundheit ist mir viel zu wertvoll, als daß ich hierbleiben und damit riskieren würde, daß mir jedesmal schlecht wird, wenn ich daran denke, was du getan hast. Der Junge lebt doch nur für Autorennen. Das ist das
Weitere Kostenlose Bücher