Dem Tod auf der Spur
äußerst selten ein solcher Fall wie der Kopf am Elbstrand.
Ein tödliches Wunder
Der 43-jährige Dieter Hemker verlässt seine Wohnung. Das Gesicht bleich, die Augen tief in den Höhlen, der Gang gebückt. Zielgerichtet, aber unsicher auf den Beinen bewegt er sich auf sein Auto zu. Mit der einen Hand umklammert er eine blaue Tasche, in der anderen hält er drei Fotos: von seiner Frau und seinen zwei Kindern. Er öffnet die Wagentür, steigt ein, lässt die Tasche auf den Beifahrersitz fallen und steckt den Schlüssel ins Zündschloss. Er holt noch einmal tief Luft, dann fährt er aus der Parklücke und tritt aufs Gas.
Später am selben Tag: Ein Streifenwagen fährt eine Landstraße in Norddeutschland entlang. Plötzlich entdecken die Polizeibeamten im Straßengraben einen Kastenwagen, der offenbar von der Straße abgekommen ist. Sie halten an, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen. Es ist Winter, deshalb ist das Wasser in dem Graben gefroren. Vorderräder und Stoßstange des Kastenwagens stecken teilweise im Eis. Das Fahrzeug ist unbeschädigt.
Die Beamten rechnen nicht damit, dass sich bei minus drei Grad Außentemperatur noch jemand in dem Wagen aufhält. Routinemäßig werfen sie einen Blick ins Wageninnere. Und schrecken augenblicklich zurück. Es sitzt tatsächlich jemand auf dem Fahrersitz. DieHände ruhen auf dem Lenkrad, der Anschnallgurt ist vorschriftsmäßig angelegt. Doch schon ein einziger Blick verrät, dass der Fahrer nicht am Steuer eingeschlafen ist, unter Drogen steht oder aus unerfindlichen Gründen trotz der Winterkälte in dem Wagen sitzt und liest oder telefoniert. Er hat den Wagen nicht verlassen, weil er ohne jeden Zweifel tot ist. Denn dort, wo zuvor einmal der Kopf des Fahrers gewesen ist, ragt jetzt nur noch ein blutiger Stumpf aus der blauen Winterjacke und dem beigefarbenen Pullover heraus.
Nach dem Kopf müssen die beiden Polizisten nicht lange suchen. Er liegt im Fußraum der Rückbank, hinter dem Fahrersitz.
Ein solches Horrorszenario regt natürlich zu allerlei Spekulationen an. Als der Verstorbene im Institut für Rechtsmedizin eingeliefert wurde, mutmaßten die Streifenpolizisten und die Ermittler von der Kripo bereits, wer wohl eine solch bestialische Tat begangen hatte – Mord durch Enthauptung. Es fielen Worte wie »sadistischer Killer« und »Milieumord«. An einen Unfall glaubte niemand.
Ich selbst hatte noch nie einen Fall untersucht oder auch nur von einem gehört, bei dem ein Mensch durch einen Autounfall enthauptet worden war. Durch einen Mähdrescher oder andere große Maschinen kann so etwas passieren, aber kaum auf dem Vordersitz eines Pkws, noch dazu in einem unbeschädigten Fahrzeug.
Allerdings sind Enthauptungen als Mordmethode ebenfalls ausgesprochen selten. In meiner Eigenschaft als Rechtsmediziner konnte ich mich nur an einen einzigen Fall erinnern. Bei der Obduktion hatte sich herausgestellt, dass sich in den Atemwegen und in der Lunge aspiriertes Blut befand. Das hieß: Der Täter hatte die Frau, nachdem er sie ans Bett gefesselt hatte, bei lebendigem Leib enthauptet. Tatwaffe war damals ein Küchenmesser gewesen.
Aber etwas Ähnliches war in diesem aktuellen Fall schwer vorstellbar. Warum sollte jemand eine solche Tat auf offener Straße begehen?
Da war es wahrscheinlicher, dass der Mörder sein Opfer im Anschluss an die Tötung geköpft hatte. Mordopfer werden manchmal postmortal von einem Täter enthauptet, mit dem Ziel, die Identifizierung des Toten zu erschweren. In einigen Fällen wird der ganze Körper zerstückelt, und die einzelnen Körperteile werden an verschiedenen Orten abgelegt. Der Rechtsmediziner spricht dabei auch von »defensiver Leichenverstümmelung«.
Ich erinnerte mich an einen Fall, in dem die Ermittler in einem Hotelappartement auf dem Bett den enthaupteten Körper eines 40-jährigen Mannes fanden, daneben einen Hammer und eine Fuchsschwanzsäge. Den Kopf des Mannes entdeckten die Beamten schließlich in der Toilette. Die grausige Wahrheit: Der Täter hatte seinen Ex-Lover zunächst erdrosselt, nachdem zwischen beiden in alkoholisiertem Zustand ein Streit ausgebrochen war. Dann hatte er den Kopf des Mannes mit der Säge abgetrennt und versucht, ihn in der Toilettenschüssel hinunterzuspülen, natürlich vergeblich. Da der Kopf dafür zu groß war, wollte der Täter ihn mit Hammerschlägen »zerkleinern«. Als auch das nicht gelang, ließ er den Kopf in der Toilettenschüssel liegen und steckte das Appartement in Brand.
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