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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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und zudem an schweren Depressionen litt, hatte zunächst versucht, sich mit den Kanülen Blut abzuzapfen und sich auf diese Weise quasi selbst »ausbluten« zu lassen. Dafür hatte er sich die Kanülen nacheinander in die Venen seinerArmbeugen gestochen und über den Plastikschlauch sein Blut in die Colaflaschen abfließen lassen. Als das Blut aus der einen Armbeuge zu gerinnen begann und der eine Plastikschlauch mit geronnenem Blut verstopft war, stach sich Hemker in den anderen Arm und wiederholte die Prozedur. Auch hier füllte er eine Colaflasche, doch wieder gerann das Blut in dem Plastikschlauch, ohne dass er das Bewusstsein verlor oder gar der Tod eintrat.
    Was der verlassene und arbeitslos gewordene Mann als Suizidmethode gewählt hatte, war seit der Antike viele Jahrhunderte lang mit dem Ziel eingesetzt worden, Krankheiten zu heilen. Gemeint ist der Aderlass. Vielleicht hatte Hemker die Idee ja aus der Geschichte von Robin Hood, an die ich mich aus Kindertagen erinnere, weil sie mich damals, als meine Mutter sie mir vorlas, so schockiert und traurig gemacht hatte. In dem Buch lässt eine Äbtissin, bei der Robin Hood Unterschlupf gesucht hat, ihn wegen einer Erkrankung zur Ader. Was Robin Hood nicht weiß: Sie hat nicht seine Heilung im Sinn, sondern ist von seinem Feind Sir Guy of Gisborne gedungen worden, ihn durch den Aderlass zu töten. Tatsächlich stirbt er dann an dem starken Blutverlust aus seinen Armvenen.
    Der Aderlass – das Behandlungsmittel der Medizin in Antike und Mittelalter – wurde bis ins 17. Jahrhundert angewandt. Hierdurch sollte das Gleichgewicht der Körpersäfte, das man bei einer Krankheit gestört glaubte, wiederhergestellt werden. Man dachte damals, »schlechtes« Blut, das sich in den Adern gestaut habe, verursache Krankheiten. Dabei war der Aderlass rückblickend betrachtet schon immer eher dafür geeignet, das Ableben des Patienten zu beschleunigen, anstatt ihn zu heilen. In der modernen Medizin wird der Aderlass nur in sehr seltenen Fällen und dann gezielt und kontrolliert eingesetzt, z.B. bei der Polyzythämie. Bei dieser Erkrankung sind die Blutzellen um ein Vielfaches in ihrer Zahl erhöht, was das Blut dickflüssiger und dadurch die Betroffenen anfällig für Thrombosen macht. Durch eine Blutentnahme von einem halben bis einem Liter werden die Fließeigenschaften des Blutes zumindest für eine gewisse Zeit verbessert.
    Im Mittelalter war der Aderlass durch Ärzte und Bader dagegen eine gängige Praxis. Die Aderlassschüssel war noch lange das »Aushängeschild« am Laden der Frisöre, der früheren Bader.
    Es wurden so viele verschiedene Krankheiten durch das scheinbare Allheilmittel des Aderlasses behandelt, dass man fast von einer Universaltherapie sprechen kann. Die für den Aderlass günstigen Tage und Stunden sowie die anzuzapfenden Stellen am Körper wurden nach astrologischen Kriterien wie beispielsweise den Sternkonstellationen festgelegt. Davon zeugen zahlreiche Darstellungen und medizinische Illustrationen.
    Aus heutiger Sicht mutet es nicht allzu verwunderlich an, dass viele Patienten durch den Aderlass starben. Eines der prominentesten Beispiele ist der erste Präsident der Vereinigten Staaten. George Washington wurden von seinem Leibarzt Benjamin Rush zur Behandlung einer Kehlkopfinfektion mehr als anderthalb Liter Blut abgenommen. Dieser Blutverlust schwächteden ohnehin schwer angeschlagenen Präsidenten so sehr, dass er in den Folgestunden starb.
    Von Seneca, Erzieher Neros und Philosoph im ersten Jahrhundert n. Chr., wissen wir, dass er den von Nero geforderten Suizid durch ein Öffnen der Pulsadern umsetzte. Als das Blut nicht richtig lief, setzte er sich in eine Badewanne mit warmem Wasser, um die Blutgerinnung zu verhindern.
    Die Geschichte belegt: Der Aderlass kann sehr wohl den Tod eines Menschen herbeiführen. Doch Dieter Hemker hatte den Versuch nach dem mühseligen »Abzapfen« von zwei Litern Blut aufgegeben. Stattdessen verließ er bei offensichtlich vollem Bewusstsein seine Wohnung, fuhr mit dem Auto aus der Stadt, bereitete auf einer einsamen Landstraße die eigene Enthauptung vor und führte sie dann »erfolgreich« aus.
    Das ist aus medizinischer Sicht allerdings fast ein Wunder. Der Grund: Ein erwachsener Mensch verfügt über etwa fünf bis sechs Liter Blut. Dabei verteilen sich 84 Prozent des zirkulierenden Blutvolumens im Körpergefäßsystem, also in den Venen und Arterien und deren Ästen, 9 Prozent auf das Lungengefäßsystem und

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