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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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das Obduktionsprotokoll unter »B. Innere Besichtigung« noch einen Abschnitt, den ich hier bisher unterschlagen habe:
    Zahnstatus: Oberkiefer, rechter Quadrant – die Zähne 1 bis 8 vorhanden, keine früheren Zahnarbeiten feststellbar. Linker oberer Quadrant – die Zähne 1 bis 7 vorhanden; Zahn 8 fehlt, das Zahnfach geschlossen. Rechter Unterkieferquadrant – der erste Schneidezahn fehlt, hier ein offenes Zahnfach (sehr wahrscheinlich postmortaler Verlust dieses Zahnes); die Zähne 2 bis 8 hier vorhanden, die Zähne 4 und 5 an der kauseitigen Flächemit Amalgamfüllung versehen, die Zähne 6 und 7 an der Kaufläche ausgehöhlt (fraglich Zustand nach Ausfall von prothetischem Zahnmaterial), Zahn 8 an der Kaufläche Amalgamfüllung. Linker Unterkieferquadrant – die Zähne 1 bis 8 vorhanden, Amalgamfüllung der Kaufläche der Zähne 6 bis 8.
    Dieser detaillierte Bericht über das Gebiss des Toten wurde von den polizeilichen Ermittlern (in diesem Fall der zuständigen Mordkommission) an umliegende regionale Polizeidienststellen weitergeleitet, mit der Anfrage, ob in deren Zuständigkeitsbereich eine Vermisstenanzeige einen etwa 25 bis 45 Jahre alten Mann mit vermutlich braunen Haaren betreffend aufgegeben worden sei.
    Nach knapp zwei Wochen bekamen wir eine positive Rückmeldung. Einem Beamten war aufgefallen, dass unser grobes Raster (Geschlecht, geschätztes Alter und vermutete Haarfarbe) zu einer Vermisstenanzeige passte, die drei Wochen zuvor eingegangen war. Eine ältere Frau hatte angegeben, dass ihr Sohn spurlos verschwunden sei. Daraufhin wandte sich der Beamte an den Zahnarzt des Vermissten, und der konnte den dokumentierten Zahnstatus zweifelsfrei seinem Patienten zuordnen. Holger Evers, ein 42-jähriger Facharbeiter, hatte in einem Dorf in der Nähe der Polizeidienststelle gewohnt und laut Zeugenaussagen an einer depressiven Persönlichkeitsstörung gelitten.
    Nun, da es gelungen war, den »Besitzer« des Kopfes zu identifizieren, hatten die Kollegen von der Kripo eineGrundlage für weitere Ermittlungen, auch wenn diese nur darin bestehen konnten, die nun vorhandenen Daten von Holger Evers an andere Polizeidienststellen weiterzugeben – Körpergröße, Gewicht, Statur und Hautfarbe. Ein Foto von Evers zu verschicken hatte natürlich keinen Sinn – denn man suchte ja nach einem Körper, der keinen Kopf mehr hatte.
    Doch die Daten reichten aus: Nach einigen Tagen kam von wiederum einer anderen Polizeidienststelle in der Region tatsächlich der entscheidende Hinweis. Fünf Wochen zuvor war in der Elbe ein Körper ohne Kopf gefunden worden – von der Fundstelle des Kopfes 25 Kilometer stromaufwärts. Dieser Körper ohne Kopf war, als man ihn entdeckt hatte, nahezu »frisch« gewesen (wir sprechen von »frischen Leichen«, wenn sich noch keine Fäulnisveränderungen am Leichnam zeigen). Der Tote war bereits von den Kollegen des rechtsmedizinischen Instituts obduziert worden, zu dessen Zuständigkeitsbereich der Auffindungsort gehörte. Ein DNA-Abgleich ergab, dass Kopf und Körper zweifellos zusammengehörten, also von Holger Evers stammten.
    Am Telefon erzählte mir der zuständige Kriminalbeamte der Dienststelle, die es mit dem kopflosen Holger Evers zu tun gehabt hatte, den Sachverhalt, wie er sich wenige Wochen zuvor ihm und den zuständigen Rechtsmedizinern dargestellt hatte: Der kopflose Körper war in der Elbböschung am Fuß einer neun Meter hohen Elbbrücke aufgefunden worden. Von einem Elbdampfer aus hatten Touristen den Körper auf der steinigen Böschung liegen sehen und die Szenerie zunächst für einen makaberen Halloween-Scherz gehalten, da esder 31. Oktober war. Dem Kapitän des Elbdampfers war jedoch relativ rasch klar, dass es sich hierbei nicht um eine Inszenierung, sondern um etwas ganz anderes handeln musste. Seinem geschulten Blick war nämlich schon bei der Durchfahrt seines Schiffes unter der Elbbrücke nicht entgangen, dass ein Stahlseil von der Brücke hing, mit einer Schlinge am unteren Ende.
    Als die Polizei eintraf, wurde das Gelände weiträumig abgesperrt und der Leichenfundort untersucht. Der kopflose Körper lag auf dem Geröll der Uferböschung und war mit einer Windjacke, Jeans und Strümpfen bekleidet. Die Schuhe fehlten. Und vor allem fehlte jede Spur von dem Kopf des Mannes. Bei der Brücke handelte es sich um eine Autobrücke, die am Rand auch von Fußgängern genutzt werden konnte. Schnell fanden die Beamten an der Außenbalustrade der Brücke das

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