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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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leitet aber nur dann eine Fahndung ein, wenn nachweislich der derzeitige Aufenthaltsort der betreffenden Person unbekannt ist, die Person nachgewiesenermaßen ihren gewohnten Lebenskreis (Wohnumfeld, Arbeitsstätte) verlassen hat und eine Gefahr für Leib oder Leben dieser Person angenommen werden kann. Natürlich haben Erwachsene, die im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte sind, das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen, auch ohne diesen den Angehörigen oder Freunden mitzuteilen. Es ist daher nicht Aufgabe der Polizei, den Verbleib eines Vermissten zu ermitteln, wenn bei ihm keine Gefahr für Leib oder Leben erkennbar ist. Sofern eine derartige Gefahrenlage aber gegeben scheint, erfolgt die Fahndung nach vermissten Erwachsenen zunächst in der Regel mit dem Ziel der »Aufenthaltsermittlung«.
    Wird der Aufenthaltsort der vermissten Person festgestellt, ist damit der Fall für die Polizei nicht automatisch erledigt. Zu den Akten gelegt werden kann er nur dann, wenn die Person wohlauf und nicht Opfer einer strafbaren Handlung geworden ist und auch selbst keine strafbaren Handlungen begangen hat (denn das ist natürlich durchaus auch ein Motiv dafür, »von der Bildfläche zu verschwinden«). Den Angehörigen oder Bekannten nennt die Polizei den Aufenthaltsort nur,wenn die zuvor als vermisst gemeldete Person damit einverstanden ist.
    In Fällen, bei denen die vermisste Person tot aufgefunden wird, stellt sich wie bei allen Leichenfunden die Frage nach Unfall, Suizid oder Mord.
    Dass oft ein Mord dahintersteckt, wenn jemand spurlos verschwindet, ist allseits bekannt. Ebenso, dass Mörder oft versuchen, ihr Opfer verschwinden zu lassen. Denn inzwischen hat sich herumgesprochen, dass wir Rechtsmediziner in den Verletzungen eines Mordopfers »wie in einem Buch lesen« können.
    Manchmal fragen mich Krimiautoren, wie aus meiner Sicht als Rechtsmediziner der perfekte Mord aussieht. Leider muss ich mein Gegenüber dann regelmäßig enttäuschen. Meine recht stereotype Antwort: »Was soll das werden mit dem perfekten Mord? Der perfekte Mord ist ein Mord ohne Leiche – und ein Krimi ohne Leiche ist kein Krimi.«
    Allerdings erfüllt sich die Hoffnung der Täter, nicht entdeckt zu werden, weil sie die Leiche verschleppt haben, immer seltener. Dass immer häufiger auch lange zurückliegende Verbrechen aufgeklärt werden, Kindermördern oder Vergewaltigern zum Teil viele Jahre oder sogar Jahrzehnte später noch der Prozess gemacht werden kann, liegt unter anderem daran, dass es in den letzten Jahren erhebliche technologische und methodische Fortschritte in allen Analysebereichen der Kriminaltechnik und Rechtsmedizin gab. Allen voran die DNA-Analyse (»genetischer Fingerabdruck«) oder die deutliche Weiterentwicklung toxikologischer Untersuchungsmethoden in den neunziger Jahren. So könneninzwischen sogar geringste Mengen von Giften, auch von sehr seltenen, nachgewiesen werden. Per DNAAnalyse sind diverse »cold cases«, also ungelöste, zu den Akten gelegte Kriminalfälle aus den siebziger und achtziger Jahren gelöst worden. Teilweise hatten diese Kapitalverbrechen zuvor jahre- oder sogar jahrzehntelang in Form von Akten und den dazugehörigen »Spurenträgern« (Kleidungsstücke des Opfers oder Tatwerkzeuge) in den Archiven der Polizei gelegen.
    Bernd Lingen wurde nach sieben Tagen tot aufgefunden. Allerdings nicht versteckt auf irgendeiner Autobahnraststätte, weit entfernt und gut verpackt in kleinen Säckchen, oder in einer gottverlassenen Sandkuhle verscharrt. Es war seine Frau, die ihn schließlich doch noch fand – als sie den Deckel einer großen Regentonne anhob, die nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt im Garten stand. Der Ort seines Todes war gleichzeitig nah und fern – in unmittelbarer Nähe des Hauses, aber an einem Ort, an dem ihn niemand gesucht hätte.
    Die von Irene Lingen gerufene Polizei begann sofort mit ihren Ermittlungen. Trotz des Abschiedsbriefs war ein Mord nicht auszuschließen, denn Bernd Lingen konnte ja zum Schreiben gezwungen worden sein, damit das Gewaltverbrechen nach Suizid aussah.
    Als der Verstorbene bei uns im Institut auf dem Sektionstisch lag, las ich zuerst den Bericht der Kriminaltechniker, die sich direkt am Ort des Geschehens ein erstes Bild gemacht hatten. Lingens Leichnam hatte rücklings zusammengekauert auf dem Boden der grünen Plastiktonne gelegen. Der Kopf war an die Wandgelehnt, die blutüberströmten Unterarme waren auf die Brust gelegt, die

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