Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
Vom Netzwerk:
sollte Bescheid wissen, deshalb der Abschiedsbrief. Dass sie dennoch zwischenHoffen und Bangen hin und her gerissen war, bevor sie ihn schließlich fand, konnte er damit wohl kaum verhindern.
    Wie weit das Spektrum der gewählten Suizidverstecke reicht, zeigt der Fall eines 44-jährigen Mannes, der rein zufällig von Passanten entdeckt wurde. Der Mann hatte sich in einem zweieinhalb Meter tiefen Wartungsschacht in einem Berliner Waldstück erhängt. Der Schachtdeckel aus dickem Stahlblech bedeckte die Einstiegsöffnung fast vollständig. Die Passanten waren auf den Leichnam nur aufmerksam geworden, weil sie in der Nähe des Schachtes einen Rucksack gefunden hatten, der, wie sich später herausstellte, dem Toten gehörte. Später stellte sich zudem heraus, dass sich der Mann seit langer Zeit wegen einer depressiven Erkrankung in psychiatrischer Behandlung befunden und mehrere stationäre Therapien jeweils vorzeitig abgebrochen hatte.
    Wegen der ungewöhnlichen Leichenfundsituation wurde der Bereitschaftsarzt der Berliner Rechtsmedizin an den Ort des Geschehens gerufen, um gleich dort eine äußere Leichenschau der noch hängenden Leiche durchzuführen und eine erste rechtsmedizinische Einschätzung zum Todesfall abzugeben. Der Mann war offensichtlich bereits seit einigen Tagen tot, was die vollständig gelöste Totenstarre und die bereits beginnenden Leichenfäulnisveränderungen zeigten.
    Er hatte ein Hanfseil an einem Steigeisen des Wartungsschachtes befestigt und sich damit erhängt. Aufgrund des ungewöhnlichen Verstecks waren die Ermittler auch in diesem Fall zunächst von einemTötungsdelikt ausgegangen. Dagegen sprach allerdings neben der psychiatrischen Vorgeschichte des Mannes, dass sich der Deckel leicht bewegen ließ, so dass der Mann auch vom Inneren des Schachtes aus den Deckel ohne große Anstrengung schließen konnte, während er schon die Schlinge um den Hals trug. Zudem wohnte der Verstorbene nur wenige Hundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt.
    Und der Rucksack neben der Schachtöffnung?
    Vielleicht ein Versehen des Mannes, vergessen in dem Eifer, endlich aus dieser für ihn so unfreundlichen Welt zu scheiden. Oder aber ein Zeichen für die innere Zerrissenheit, die oftmals selbst den festen Entschluss, allein zu sterben, begleitet. Ein Teil von ihm wollte vielleicht doch, dass sein Leichnam gefunden wird.
    Selbst wenn sich eindeutig ergründen ließe, welche von diesen beiden Möglichkeiten nun der Wahrheit entspricht, würde dies nicht in meinen Aufgabenbereich als Rechtsmediziner fallen. Dennoch sind es besonders die Fälle von suizidalem Höhlenverhalten, dieser Extremvariante der Selbsttötung, die mich bei aller beruflichen Distanz und nötigen Objektivität gedanklich beschäftigen.
    Wie sollte dies anders sein, da Suizide so eindeutig die nicht-natürlichen Todesfälle dominieren, die mir in meinem Berufsalltag begegnen. Mit Mord werde ich zwar auch konfrontiert, aber, wie sich schon an den hier beschriebenen Fällen ablesen lässt, doch weit häufiger mit Menschen, die ihrem eigenen Leben ein Ende gesetzt haben.
    Was für die einen unfassbar ist, ist für andere die letzte Möglichkeit, einer ungeliebten Welt und einem ungeliebten Leben zu entkommen. Grund genug, dem Thema auch hier ein paar allgemeine Zeilen zu widmen:
    Suizid ist definiert als die »Vernichtung des eigenen Lebens«. Das Wort »Suizid« stammt aus dem Lateinischen (sui = selbst, caedere = töten). Daraus hat sich eine ganze Begriffsfamilie abgeleitet.
    Suizidenten werden von sogenannter Suizidalität – Suizidneigung, Suizidgefährdung – getrieben. Suizidalität kann durch bestimmte Gründe wie zum Beispiel schwere Krankheit, sei sie psychischer oder physischer Art, oder den Verlust eines Angehörigen oder Lebenspartners bedingt sein. Die Wahl des Suizidmittels lässt dabei häufig erkennen, dass die Möglichkeit zu überleben bewusst einkalkuliert wurde, z.B., wenn sich der Suizident die Innenseite der Handgelenke oder des Unterarmes aufschneidet, ohne allerdings die Pulsadern so zu durchtrennen, dass es zum Verbluten aus den Schnittverletzungen kommt. Mediziner und Psychologen sprechen dann auch vom »appellativen« Charakter des Suizidversuchs, der quasi als Schrei nach Aufmerksamkeit und Hilfe aufzufassen ist.
    Suizidenten tragen oft bleibende Schäden davon. Dies können Narben von aufgeschnittenen Pulsadern sein oder – viel gravierender – geistige und körperliche Behinderungen nach überlebter

Weitere Kostenlose Bücher