Dem Tod auf der Spur
und zwischen drei und sechs Zentimeter lang. Da keine Blutungen oder entzündlichen Hautreaktionen zu erkennen waren, vermutete ich, dass diese Wunden postmortal entstanden waren, entweder beim Entsorgen der Leiche oder bei der Bergung des Toten durch den Notarzt und die Rettungssanitäter.
Die später vorgenommene mikroskopische Untersuchung bestätigte meinen Verdacht. Es fehlten im Wundgebiet jegliche Ansammlungen von roten Blutzellen und Entzündungszellen, die sich bei Lebenden nach einer Verletzung sehr schnell im Wundrand bilden, um das traumatisierte Gewebe von der unverletzten Haut und dem Weichgewebe abzugrenzen. Wir sprechen hier von »Demarkierung« des Wundgebietes.
Der interessantere, weil wegweisende Befund bei der äußeren Leichenschau war der schaumige Belag vor Nasenlöchern und Mundöffnung des Toten. Er war teils flüssig, teils angetrocknet und bestand aus feinsten hellrosafarbenen Schaumbläschen. Wir Rechtsmediziner bezeichnen das als »Schaumpilz«. Ein Schaumpilz sieht in etwa so aus wie der aus lauter kleinsten Seifenblasen bestehende Schaum in der Küchenspüle, wenn gerade sehr spülmittelhaltiges Abwaschwasser abgelaufen ist, oder wie Bierschaum, der nach dem Öffnen einer geschüttelten Bierflasche in den Flaschenhals steigt. Ein Schaumpilz vor Mund und Nase bei einem Toten ist ein sicheres Zeichen dafür, dass der Betreffende vor seinem Tod ein Lungenödem hatte, also eine vermehrte Flüssigkeitsansammlung im Lungengewebe (im Volksmund: »Wasser in der Lunge«).
Ein Lungenödem entsteht meist nicht durch eine Erkrankung des Organs selbst, sondern ist eine Reaktion auf z.B. eine Herzerkrankung (Linksherzinsuffizienz), schwere Verbrennungen, eine Blutvergiftung, ein Polytrauma oder auch eine Vergiftung (Intoxikation). Da wir es hier mit einem athletisch gebauten Mann zu tun hatten, schien eine Linksherzinsuffizienz, also einechronische Schwäche der linken Herzkammer, als Ursache auszufallen. Auch hatte ich bei der äußeren Leichenschau weder Verbrennungen noch Anzeichen einer Blutvergiftung entdeckt. Bei Letzterer kommt es häufig zu Hautblutungen als Ausdruck der durch Bakterien oder Viren gestörten Gerinnungsfähigkeit des Blutes, mit der Folge z.T. auch unkontrollierbarer Blutungen innerer Organe. Auch ein Polytrauma schied aus, da Schädeldach, Mittelgesichtsknochen, Brustkorb und Becken beim Betasten und auf Druck mit den Händen nicht widernatürlich beweglich waren und sich auch an den Extremitäten kein »Knochenreiben« feststellen ließ.
Zur Überprüfung tastet man bei der Leichenschau die Arme und Beine Zentimeter für Zentimeter ab. Knochenreiben äußert sich als ein Knacken und Knistern, das man nicht nur fühlt, sondern auch hört, und ist ein sicherer Hinweis auf einen Knochenbruch. Das unschöne Geräusch entsteht dadurch, dass die rauen Oberflächen an den Bruchenden aneinanderreiben, der medizinische Fachterminus für dieses Reiben ist »Krepitation«.
Da also alle anderen Ursachen für den Schaumpilz ausfielen, war ich schon vor der Öffnung der Brusthöhle überzeugt, dass eine Vergiftung für das Lungenödem und den Tod von Horacio Galvis Corzo verantwortlich war. Daher hielt sich meine Überraschung in Grenzen, als ich nach Öffnung der Bauchhöhle Magen und Darm des Toten mit der dafür vorgesehenen Darmschere aufschnitt und einen direkten Blick auf das Innere des Dünndarms hatte:
Ich zählte 26 kleine Plastikbeutelchen, jeweils zweieinhalb Zentimeter lang und anderthalb Zentimeter breitund allesamt mehrfach mit Klebestreifen umwickelt und zu kleinen Päckchen verschnürt. Jedes Päckchen enthielt ungefähr 15 Gramm einer pulvrigen Substanz.
Der entscheidende Hinweis auf das, was letztlich zu der tödlichen Intoxikation des Südamerikaners geführt hatte, zeigte sich beim Aufschneiden des Dickdarms. Hier fanden wir zwei ebensolche, allerdings leere Plastikbeutelchen sowie abgelöste und miteinander verschmolzene Klebestreifen.
Als ich die beiden Lungenflügel aus der Brusthöhle entnahm, bestätigte sich auch sofort der Verdacht in puncto Lungenödem: Beide Lungenflügel wogen mit 820 bzw. 980 Gramm jeweils mehr als das Doppelte von dem, was gesunde Lungenflügel eines Mannes in diesem Alter wiegen. In Luftröhre und Bronchien begegnete mir auch wieder der alte Bekannte von der äußeren Leichenschau, der feinblasige Schaumpilz. Auch beim Einschneiden in das Lungengewebe floss reichlich schaumige, hellrosafarbene Flüssigkeit in das Auffangbecken
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