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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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typischer Fall von Leichendumping. Er war kurz nach seiner Ankunft, nachdem er erfolgreich die Einreiseformalitäten absolviert und den Zoll passiert hatte, noch auf dem Flughafengelände an der Überdosis Kokain gestorben. Seine Kontaktpersonen, die ihn auf dem Flughafen erwartet und wohl schon mehr tot als lebendig in Empfang genommen hatten, kümmerten sich in ihrer Eile, den Mann loszuwerden, nicht einmal um seinen Pass oder die 1.500 Euro Bargeld, die er bei sich trug. Und natürlich riefen sie erst recht keinen Arzt, sondern entsorgten ihn wie einen kaputten Koffer im Müll.
    Leichendumping ist im Zusammenhang mit Drogendelikten nahezu an der Tagesordnung, nicht nur bei Bodypackern, sondern auch im eigentlichen Drogenkonsumentenmilieu selbst. Werden Drogenabhängige tot aufgefunden, sind oft weit und breit keinerlei Fixerutensilien wie Injektionsspritzen, Löffel, Feuerzeug oder Drogenbehältnisse zu finden. Manchmal hat nur jemand die Utensilien verschwinden lassen, meist aber wurde der Tote nachträglich verfrachtet. Der Grund:die Angst der Mitkonsumenten, entdeckt und verhaftet zu werden – wegen Drogenbesitz oder unterlassener Hilfeleistung.
    In solchen Fällen sind auch postmortal entstandene Transportverletzungen am Körper der Toten, wie in unserem Fall die Hautabschürfungen am Rücken des Mannes im Müllcontainer, nicht selten.
    Leichendumping im Drogenmilieu nimmt zum Teil bizarre Auswüchse an, und die grausige Phantasie der Dealer und Mitkonsumenten kennt anscheinend keine Grenzen. So wurde in Berlin die verbrannte Leiche eines 14-jährigen Mädchens in einem ausgebrannten Koffer entdeckt. Obduktion und toxikologische Untersuchungen ergaben zweifelsfrei, dass das Mädchen an einer Überdosis Heroin gestorben war, bevor jemand sie in dem Koffer vom Sterbeort weggeschafft und anschließend den Koffer samt Leiche mit Benzin übergossen und angezündet hatte.
    In einem anderen Fall wurde ein junger Mann, der sich den »goldenen Schuss« gesetzt hatte, von seinem Dealer im Keller seines eigenen Hauses eingemauert und erst nach zweieinhalb Jahren gefunden. Und das auch nur, weil eine Katze immer wieder vor der Wand laut miaut hatte, bis der misstrauisch gewordene Hausbesitzer die Polizei verständigte. Was wie aus Edgar Allan Poes Geschichte »Die schwarze Katze« abgeschrieben klingt, ist bei uns in der Rechtsmedizin immer mal wieder grausige Realität.

Der Fall Jessica
    Im Grunde war ich vorgewarnt, als ich schließlich mit der Obduktion des siebenjährigen Mädchens begann, das bald im ganzen Land eine traurige Berühmtheit erlangen sollte – als Fall von vorsätzlicher und besonders grausamer Kindesvernachlässigung.
    Durch die Fotos in der Ermittlungsakte hatte ich einen ersten Eindruck erhalten, durch welche Hölle dieses Mädchen vor seinem Tod gegangen sein musste. Außerdem hatte mir der Kollege von der Kripo, der Jessicas »Gefängnis« untersucht und die Verhaftung der Eltern angeordnet hatte, den Tatort der Vernachlässigung beschrieben: Selbst wenn man mittendrin stand, konnte man die Konturen des winzigen Raumes nur erkennen, wenn die Tür zum Flur geöffnet war. Es gab kein Licht, das einzige Fenster war mit schwarzer, lichtundurchlässiger Folie beklebt. In diesem Raum hatte das Mädchen fünf Jahre zugebracht, und in seinen letzten Monaten hatte es, ausgehungert und schwach, wie es war, nicht einmal mehr krabbeln können.
    Der Notarzt hatte das bereits tote Kind nur kurz in Augenschein genommen und dann sofort die Polizei verständigt. Der abgemagerte und in grotesker Weise zusammengeschrumpfte Körper des Mädchens, die Windel, die Jessica noch mit sieben Jahren trug und diemit Kabelbindern in ihrer Leistengegend fixiert war, sowie die dunkle Enge des Zimmers verrieten auf den ersten Blick, dass hier keine Krankheit die Todesursache war. Dieses Mädchen war an elterlicher Vernachlässigung unvorstellbaren Ausmaßes gestorben.
    In einem solchen Fall geht alles sehr schnell. Die sofort eingeschaltete Kriminalpolizei hatte die Staatsanwaltschaft verständigt, und die hatte eine Obduktion der Leiche angeordnet.
    Einen Mordfall zu klären gab es für mich nicht mehr, die Täter, Vera Fechner und ihr Lebensgefährte Otto Hübner, saßen bereits in U-Haft. Die Obduktion hatte nur eine Aufgabe: die Details von Jessicas Martyrium festzustellen und zu dokumentieren, auch als Grundlage für den Prozess und die Strafzumessung.
    Natürlich war mir bewusst, dass die vor mir liegende Autopsie

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