Dem Tod auf der Spur
das dunkle Material waren Fleisch und Pudding – Hühnchen und Schokopudding . Mit dem Nahrungsbrei vermischt fanden wir auch Kopfhaare des Mädchens, ebenso Gips von der Wand und Teppich- und Tapetenreste. Alles sprach dafür, dass Jessica verhungert war.
Doch so war es nicht gewesen.
Was sich wirklich ereignet hatte, konnten wir erst sehen, als wir Dünndarm und Dickdarm öffneten. Wir wollten feststellen, wie weit die Nahrung verdaut worden war, die Jessica am Abend bekommen hatte. Die unheimliche Antwort, auf die wir stießen, war: überhaupt nicht, denn es gab keinen Platz mehr. Dünn- und Dickdarm waren bis zum After vollständig durch Kotsteine verstopft – Kot, der durch Flüssigkeitsentzug zu steinartigen Gebilden verhärtet war. Diese Kotsteine wogen 870 Gramm und machten damit zehn Prozent von Jessicas ohnehin viel zu niedrigem Körpergewicht aus.
Um zu erfahren, wie ausgeprägt der Flüssigkeitsmangel war, mussten wir zunächst den Harnstoffgehalt im Körper des Kindes feststellen, das taten wir anhand der Glaskörperflüssigkeit im Auge. Wie nicht anders zu erwarten, wies der Harnstoffgehalt mit 212 Milligrammpro Deziliter einen extrem hohen Wert auf – ein Indiz für eine völlig unzureichende Flüssigkeitszufuhr zu Lebzeiten. Aufgrund des Flüssigkeitsmangels konnte der eingedickte Kot im Darm nicht mehr abgeführt werden, weshalb der gesamte Darmtrakt verstopfte. Durch die Verstopfung setzte die Darmmotorik irgendwann aus, und von da an transportierte der Darm von Jessica keine Nahrung mehr. Als Jessica endlich etwas zu essen bekam, konnte sie gar keine Nahrung mehr verdauen – sie war faktisch aufs Verhungern programmiert.
Beim Öffnen der Luftröhre und der Bronchien fanden wir in den Atemwegen die gleichen Nahrungsreste wie im Magen. Damit wussten wir nun, wie Jessica tatsächlich zu Tode gekommen war: Als das Mädchen endlich etwas zu essen bekommt, schlingt es die Nahrung in sich hinein. Sie gelangt bis zum Magen – und wird von dort nicht mehr weitertransportiert, da die Kotsteine im Darm den weiteren Weg blockieren. Es kommt zu Magenkrämpfe und schließlich würgt Jessica die Nahrung wieder hervor, diese wird zum Teil erbrochen, zum Teil gelangt sie in die Luftröhre und von dort in die Atemwege. Die Fremdkörper blockieren die Luftröhre und das sich daran anschließende Bronchialsystem, weshalb Jessica nicht mehr atmen kann. Die Folge ist Tod durch Ersticken.
Die grausame Ironie von Jessicas Schicksal: Nach einer Ewigkeit geben die Eltern ihr wieder etwas zu essen – und das fast zu Tode verhungerte Kind stirbt an seiner letzten Mahlzeit.
Erhalten für die Ewigkeit
An einem Tag im Sommer machte ein junges Pärchen bei herrlichem Wetter eine Bootsfahrt auf einem See. Plötzlich sahen die beiden etwas, das aussah wie ein Sack, eine Plane oder ein Baumstamm. Doch was dort an der Wasseroberfläche trieb, war die Leiche eines Menschen.
Für Ausflügler ist jede Wasserleiche ein ungewohnter und entsetzlicher Anblick. Doch als die Wasserschutzpolizei eintraf und die Leiche mit einem Bootshaken barg, stutzten auch die mit diesem Metier eher vertrauten Beamten, und das gleich aus zwei Gründen.
Zum einen sah die Leiche nicht aus wie eine Wasserleiche. Anders als bei dem am Elbstrand gefundenen Kopf (siehe »Entzweigeteilte Ermittlung«) waren hier die Gesichtskonturen noch gut zu erkennen. Das ganze Gesicht des Toten war wie mit einer wachsartigen Schicht bedeckt, aber das Gewebe hatte nicht die schwammige, aufgeweichte Konsistenz einer typischen Wasserleiche.
Was die Situation aber noch ungewöhnlicher machte, war die Tatsache, dass die Kleidung des Verstorbenen, die ebenfalls zum großen Teil noch erhalten war, überhaupt nicht in die heutige Zeit zu passen schien: ein zerlumpter, vom Wasser aufgeweichter Gehrock im Stildes 19. Jahrhunderts und ein weißes Rüschenhemd mit Resten einer Schleife im Brustbereich. Ein Outfit weit jenseits unserer heutigen Mode. Und auch der Schuh, in dem der linke Fuß des Verstorbenen noch steckte, wirkte mit seiner grobbeschlagenen Sohle und der großen Messingschnalle, als stamme er aus einem längst vergangenen Jahrhundert.
Die Wasserschutzpolizisten, die ebenfalls alarmierten Schutzpolizisten und das junge Pärchen, aufgewühlt, aber auch neugierig, überboten sich in Spekulationen, was es mit dieser altmodisch gekleideten Wasserleiche auf sich hatte.
»Der kommt aus einer anderen Zeit«, sagte einer. »Der liegt schon Jahrzehnte,
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