Dem Winde versprochen
sollte ihre Angst verbergen. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«
Den Mund zu einem verschlagenen Lächeln verzogen, starrte der Sklave sie weiter an.
»Senke den Blick, du dreister Kerl! Hat man dir nicht beigebracht, dass du deinen Herren nicht in die Augen schauen darfst?«
»Servando schaut Ihnen sehr wohl in die Augen«, warf Sabas ein. »Und auch noch ganz woanders hin«, fügte er hinzu und streifte ihre Brust.
Elisea gab ihm eine Ohrfeige. Verdattert hielt sich der Sklave die Wange, und Elisea nützte die Gelegenheit zu fliehen. Sie lief in den Schlachthof hinein, wo sie sich in einem Raum versteckte, in dem die Körbe aufbewahrt wurden. Die Holztür war in der Wand kaum zu erkennen. Sie hatte einmal gesehen, wie Servando sie geöffnet hatte, sonst hätte sie sie niemals entdeckt.
Elisea hielt den Atem an und lauschte. Wenige Minuten später kam Sabas herein. Durch den Schlitz sah sie seinen irren Blick, und ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Wenn er sie fände, würde er sie töten.
Irgendwann schaute sie wieder durch den Spalt und es war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Sabas könnte sich natürlich versteckt haben und darauf warten, dass sie herauskam. Sie wartete weiter, und es quälte sie der Gedanke, dass sie wertvolle Zeit verlor, während die Entführer mit Miss Melody schon über alle Berge waren. Sie stieß die Tür ein wenig auf und spähte in den Raum. Sabas konnte sich an allen möglichen Stellen versteckt haben, doch sie musste es wagen. Sie rannte los, nach El Retiro, ohne sich umzudrehen, als sei der Teufel ihr auf den Fersen.
Als sie in den hinteren Hof kam, wo Siloé und Miora gerade die Vögel fütterten, riefen sie sie, doch Elisea rannte weiter, direkt zu Blackravens Arbeitszimmer. Sie riss die Tür auf, und während sie nach Atem rang, sah sie Blackraven mit Monsieur Désoite und Mademoiselle Béatrice am Schreibtisch sitzen. Die drei starrten sie irritiert an.
»Man hat Miss Melody entführt!«
Blackraven stand sofort auf, fasste sie bei den Schultern und befahl ihr zu erzählen, was passiert war. Elisea fing an zu weinen. Béatrice schob Roger beiseite und führte das Mädchen zu einem Sessel, und Louis reichte ihr einen Brandy. Sie drängten sie, ein
paar Schlucke zu trinken, und sprachen ihr Mut zu. Blackraven hatte die Hände am Kopf und sah Elisea an, als wollte er sie am liebsten erwürgen.
»Nun rede schon, Mädchen«, fuhr er sie schließlich an.
Elisea erzählte, was sie gesehen und gehört hatte. Miss Melody war von einem Mann entführt worden, den sie mit »Paddy« angesprochen hatte.
»Paddy?«, sagte Blackraven, sichtlich alarmiert. »Bist du sicher?«
»Ja«, versicherte sie und berichtete, was sich weiter zugetragen hatte.
Für Blackraven war nichts mehr wie vorher, nachdem er von der Entführung Melodys erfahren hatte. Alles hatte sich aufgelöst; seine Macht und sein Reichtum waren unbedeutend. Noch nie hatte er solche Angst gehabt. Wenn er jemandem hätte erklären müssen, was er empfand, hätte er gesagt, dass er es nicht ertragen konnte, in seinem Körper gefangen zu sein. Es kam ihm vor, als würden die Pferde nicht schnell genug galoppieren und seine Männer sie nicht genug antreiben. Am liebsten wäre er geflogen.
Im Grunde hasste er die Angst. Als Kind hatte er sich oft gefürchtet, und seitdem konnte er dieses Gefühl nicht ertragen, das ihn demütigte und das für ihn mit den finstersten Jahren seiner Existenz verbunden war. Seine Stärke und sein Verstand hatten geholfen, sie zu überwinden. Er hatte keine Angst mehr um sich, und wenn er mit einem Messer im Mund auf die feindlichen Schiffe sprang, sein Rapier in der rechten und eine Pistole in der linken Hand, hielt er sich für unbesiegbar. Seine Geschicklichkeit und sein Ungestüm im Kampf hatten ihn zu einem gefürchteten Korsaren gemacht. Captain Black war eine Legende, und in den Hafentavernen hatten sich seine Heldentaten bereits herumgesprochen.
Aber jetzt ging es um Isaura, nicht um ihn, und deshalb hatte er Angst. So etwas hatte er noch für keinen anderen Menschen empfunden, vielleicht weil er noch nie jemanden so geliebt hatte wie dieses Mädchen. Eine Mischung aus Ohnmacht und Wut brachte ihn fast um den Verstand. Wenn er sich Isauras Leiden vorstellte oder daran dachte, dass er womöglich zu spät kam, um sie zu retten, war das die schlimmste Tortur, die er je erlebt hatte.
Er trieb Black Jack zu noch mehr Eile an und ließ Somar und die Seeleute hinter sich, die
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