Dem Winde versprochen
schrecklichen Bilder erdrückten sie.
»Ich dachte, ich sterbe, als Elisea berichtete, du seist entführt worden. Zum Glück hat sie alles mitangesehen und ist gleich nach El Retiro gelaufen, um zu berichten. Mein Gott, Isaura! Ich
weiß nicht, was ich getan hätte, wenn dir etwas zugestoßen wäre. Ich hatte furchtbare Angst.«
Ihr wurde klar, dass auch er Schreckliches durchgemacht hatte. Einem Mann wie ihm musste es schwerfallen, zuzugeben, dass er Angst gehabt hatte.
»Roger, in all den Stunden galt mein einziger Gedanke nur dir. Es ist komisch, aber ich habe weder an Jimmy noch an Tommy gedacht. Da war immer nur dein Name in meinem Kopf. Roger, verzeih mir. Verzeih mir, dass ich immer nur meine Familie im Auge hatte. Mir ist jetzt klar geworden, dass du der Mittelpunkt meines Lebens bist. Ohne dich hat alles keinen Sinn. Ich brauche dich so sehr … «
»Isaura … «
Sie küssten sich, doch die schrecklichen Erlebnisse waren noch allzu präsent. Ein Kälteschauer durchzuckte Melody.
»Er ist tot, nicht wahr?«
»Ja.«
»Hast du ihn getötet?«
»Ja. Wie ich es mir geschworen habe, als ich deine Brandmale sah.«
»Damals hielten wir ihn für tot.«
»Ich hätte das überprüfen müssen. Meine Nachlässigkeit ist unverzeihlich. Sie hätte dich das Leben kosten können.«
»Ich muss die ganze Zeit an Tommy denken. Wo mag er bloß sein?«
»Wir werden ihn finden, keine Sorge.«
»Ich will, dass Tante Enda dieses Haus verlässt. Heute noch. Jetzt gleich.«
»Ich kümmere mich darum.«
Er hob sie aus der Wanne und hüllte sie in ein Handtuch.
»Ich werde einen Arzt holen lassen, damit er dich untersucht. Du hast einiges abbekommen.«
»Ich will nur schlafen.«
Brunilda lieh ihr ein paar von ihren Sachen. Sie waren sauber und dufteten. Mit Blackravens Hilfe zog Melody das Nachthemd an. Sie legte sich aufs Bett, schloss die Augen und seufzte.
»Ich habe Baldriantee für dich gemacht«, sagte Brunilda, »damit du schlafen kannst.«
Nach dem warmen Tee fühlte Melody sich besser. Blackraven setzte sich neben sie und sah zu, wie sie einschlief. Es fiel ihm schwer, sie allein zu lassen, aber er hatte noch einiges zu erledigen, bevor sie das Anwesen verließen.
»Bleib bei ihr, weiche nicht von ihrer Seite. Wenn sie aufwacht, holst du mich«, wandte er sich an die Hausangestellte. Er befahl einem seiner Männer, sich als Wache vor der Tür zu postieren. »Niemand außer mir darf dieses Zimmer betreten.«
Draußen überprüfte er noch einmal, ob die Fenster fest verschlossen waren. Zwei seiner Männer hatten bereits eine Grube von beachtlicher Tiefe unter einer Eiche in der Nähe des Hauses ausgehoben. In ein Laken gehüllt, wartete Paddy Maguires Leichnam auf seine Beerdigung.
»Wir haben uns in der Gegend umgesehen«, informierte ihn Somar. »Richtung Norden gibt es ein paar armselige Hütten für die Feldarbeiter. Sie sind fast alle dorthin geflohen. Dem Hausmädchen zufolge halten sich nur noch sie und ein Sklave hier auf, aber wir konnten ihn nicht finden. Es gibt weder Kühe noch Pferde oder andere Tiere. Überall herrscht ein heilloses Durcheinander. Die Felder sind verwahrlost. Man bräuchte eine große Menge an Geld, damit das Anwesen wieder in seinem alten Glanz erstrahlt, ganz zu schweigen von den Steuern, die aufgelaufen sind. Hast du vor, das zu übernehmen?«
»Ich werde später mit Isaura darüber sprechen. Sie sagt, Maguire habe ihren Bruder entführt und ihr damit gedroht, ihn umzubringen, wenn sie nicht nach Bella Esmeralda zurückkehrt.«
»Der Junge ist nicht hier«, sagte Somar. »Ich selbst habe das
Haus und die Gegend inspiziert. Vergiss nicht, dass Maguire einen Komplizen hatte. Elisea hat von zwei Männern gesprochen. Vielleicht hat der ihn.«
Blackraven nickte und strich sich besorgt über das Kinn.
»Wir werden Brunilda fragen. Vielleicht weiß sie, wer der andere ist.«
»Erst wollte ich dich darum bitten, dass du mich ins Haus begleitest«, sagte Somar, »da ist etwas, das ich dir zeigen möchte.«
In der Küche hatte Somar hinter ein paar Regalen in der Speisekammer eine Kellertür entdeckt. Mit einer Öllampe bewaffnet, kletterten sie vorsichtig die morsche Treppe hinunter. Der Raum war ordentlich und bis auf einen Schrank und einen Tisch am anderen Ende leer. Bei seinem ersten Inspektionsgang hatte Somar das Schrankschloss aufgebrochen. Er hatte die Türen aufgemacht und das Innere ausgeleuchtet. Da waren Fläschchen und Gläser in verschiedenen Größen, Bücher,
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