Dem Winde versprochen
Sonntagsgottesdienst ab. Sie war wie üblich allein, und so konnte er sie zu ihrem riesigen leeren Palast im elisabethanischen Stil begleiten. Sie lud ihn zum Tee ein, spielte ein paar Stücke auf dem Klavier, dann spielten sie Whist und, als es Zeit für das Abendessen wurde, nahm er ihre Einladung an. Sie verbrachten einen angenehmen Abend. Beim Abschied küsste Miles sie auf den Mund. Das lange unterdrückte Verlangen brach sich Bahn, und sie gab sich ihm hin.
Sie wurden ein heimliches Liebespaar, und die blassen Wangen der Geliebten färbten sich wieder rosa; die Augenringe verschwanden, sie nahm zu und ihre Figur bekam ihre gefälligen Rundungen zurück. Sie trafen sich bei Victoria und liebten sich, bis die ersten Sonnenstrahlen verkündeten, dass es Zeit war, auseinanderzugehen.
Sie wollten fliehen, alle Brücken hinter sich abbrechen und an einem fernen Ort ganz von vorn anfangen. Doch es gab Hindernisse, die unüberwindlich schienen. An erster Stelle der Affront, den
das für Victorias Eltern bedeuten würde, und die Geldnot, doch auch die Reaktion von Blackraven machte ihnen Angst. Er war ein mächtiger Mann, verfügte über Mittel und Wege, sie überall ausfindig zu machen.
Miles sagte sich: ›Notfalls werde ich ihn erpressen, damit er uns in Ruhe lässt.‹ Vor einiger Zeit, als er und Blackraven Freunde waren, hatte Miles ihm geholfen, eine Verwandte aus den Klauen der Französischen Revolution zu befreien. Weil er die Sprache hervorragend beherrschte und so harmlos aussah, hatte Blackraven ihn für den idealen Kandidaten für diese Aufgabe gehalten. Er musste lediglich zusammen mit der Verwandten in einer Privatkutsche mit gefälschten Passierscheinen nach Calais fahren und sich als ihr Ehemann ausgeben.
Eines Nachts, die Mission war fast beendet, hatte Miles in einer Taverne durch die Tür ein Gespräch zwischen Blackraven und dem Mädchen mitgehört und erfahren, wer sie wirklich war.
Aus Angst wollte Miles seinem Freund verschweigen, dass er das Geheimnis kannte. Doch Blackraven kam ins Zimmer und bemerkte Miles Aufregung. Sofort war ihm klar, dass sein Freund alles mitgehört hatte. »Zu deiner Sicherheit wäre es mir lieber gewesen, du hättest es nie erfahren«, sagte Blackraven. »Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass ich mit niemandem darüber sprechen werde«, erwiderte Miles.
In diesem Punkt zeigte er sich unbeugsam, und so sehr Desirée es auch versuchte, sie konnte ihm nicht entlocken, was es mit dem Mädchen auf sich hatte.
Keiner hätte vermutet, dass Blackraven an Weihnachten nach Hause kommen würde. Miles und Victoria waren schreiend hochgefahren, als sie feststellten, dass Blackraven vor dem Bett stand und sie beobachtete. Victoria fing an zu weinen, während Miles hastig seine Hose anzog, sich in der Eile verhedderte und auf dem Boden landete. Blackraven hatte laut aufgelacht und gesagt: »Wenn du es geschafft hast, dich anzuziehen, verlässt du mein Haus. Wir beide werden
später abrechnen.« Miles war klar, dass er ein Duell nicht überleben würde. Er warf Victoria einen mitleidigen Blick zu, nahm seine Jacke und seine Stiefel und ging.
»Ich habe mich wie ein Feigling benommen! Wie ein verdammter Feigling!«, rief er und ließ seiner Traurigkeit freien Lauf. »Ich hätte sie mit diesem Bastard niemals allein lassen dürfen«, sagte er, als spreche er mit sich selbst, »doch ich war vor Angst wie gelähmt und bin wie ein Idiot davongelaufen. Ich weiß nicht, was zwischen ihnen vorgefallen ist, und das werde ich auch nie erfahren. Am nächsten Tag hörte ich, Victoria sei verschwunden. Man hatte Suchtrupps gebildet, Männer, Frauen, sogar die Kinder haben gesucht. Am Abend, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, fand man ihre Kleider und einen Brief an ihren Mann auf einem Felsen. Sie hatte sich umgebracht. Die Leiche wurde nie gefunden, das Meer hat sie nicht mehr freigegeben. Das sagen zumindest die Behörden, aber ich weiß, dass Victoria sich niemals umgebracht hätte. Sie war gottesfürchtig und hielt sich an seine Gesetze. Blackraven hat sie umgebracht, ihre Leiche verschwinden lassen und dann diese Farce inszeniert, um die Behörden irrezuführen.« Desirée verwies auf den Brief. »Ach der! Er kann sie genauso gut gezwungen haben, ihn zu schreiben, bevor er sie umgebracht hat. Oder er hat ihn mit gefälschter Handschrift selbst geschrieben.«
Gestern Abend hat Miles zu Desirée gesagt: »In wenigen Stunden werde ich ein reicher Mann sein. Wir werden heiraten und für immer
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