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Dem Winde versprochen

Dem Winde versprochen

Titel: Dem Winde versprochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florencia Bonelli
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anderen, weil sie ihn mit Verachtung strafte. Er durfte sie nicht einmal
anfassen. Er hatte sich an das Kopfende gestellt und schweigend auf ihre verschlossene Miene gestarrt, nachdem sie ihn kaum hörbar aufgefordert hatte zu gehen. Doch Melody hatte ihm ein Zeichen gegeben, zu bleiben und Geduld zu haben. Und genau das tat er: Geduld haben.
    Während des zweiten Treffens hatten sie ein paar Worte gewechselt. Sie hatte »Danke« gesagt, als er ihr Taschentuch vom Boden aufhob oder die Vorhänge zurückzog, damit ein wenig Licht hereinkam. Des Schweigens müde, hatte Servando angefangen zu reden. Er erzählte ihr, dass er Miss Melody bei der Renovierung des Stadthauses half, dass er gerne dem Polsterer zusah und Lust habe, dieses Handwerk zu erlernen, denn er sei es allmählich leid, Tiere auszuweiden. Elisea hatte kein Wort gesagt, aber sie hatte ihm wenigstens ihr Gesicht zugewandt und ihm zugehört.
    »Sie mochte es früher immer, wenn ich ihr vorgelesen habe«, sagte Servando zu Melody.
    »Du kannst lesen?«
    »Sie hat es mir beigebracht.«
    »Aha. Nun, seine Exzellenz hat Dutzende von Büchern in seinem Arbeitszimmer. Komm mit mir! Sie sind in diesen Kisten. Nimm dir eines heraus. Seine Exzellenz wird es im Moment nicht vermissen.«
    Als Elisea ihn mit dem Buch in der Hand ins Zimmer kommen sah, kam mit einem Mal Leben in sie. Sie versuchte sich aufzusetzen, und Servando eilte ihr zu Hilfe. Er las ihr die ersten Kapitel aus
Die Prinzessin von Babylon
von Voltaire vor, und sie schloss die Augen und lauschte.
    »›
Alles was du sagst, stimmt‹, erwiderte Formosanta, ›aber ist es möglich, dass der größte Mann, vielleicht sogar der liebenswürdigste, der Sohn eines Hirten ist‹?
«
    »Ist es möglich«, raunte Elisea und sah ihn an, »dass der größte Mann, vielleicht sogar der liebenswürdigste, ein Sklave ist?«
    Servando kniete neben dem Bett nieder, fasste ihre Hand und drückte sie an seinen Mund.
    »Elisea«, sagte er mit gebrochener Stimme, »liebst du mich noch?«
    »Ja.«
    »Dann lebe um meinetwillen.«
    Er wollte sie küssen, doch sie wandte ihr Gesicht ab.
    »Nein«, hauchte sie. »Ich bin unwürdig. Ich bin eine Sünderin.«

Kapitel 27
    Nach dem Karneval, mit Beginn der Fastenzeit, veränderte sich die Stadt. Sie wurde belebter, weil die Familien aus der Sommerfrische zurückkehrten. Am Aschermittwoch hatten sich alle wieder eingefunden. In der Recova herrschte reger Betrieb. Es gab mehr Wagen und Stände, aber auch mehr Hunde und Abfälle. In den ersten Morgenstunden drang der Ruf der Milchverkäufer durch die Fenster – geschickte kleine Reiter von noch nicht einmal zehn Jahren, die in Tongefäßen die frische Milch von den Bauernhöfen des Umlandes in die Stadt brachten. Glocken kündigten den Wasserverkäufer an, der, auf seinem Ochsengespann stehend, den Wagen lenkte, dessen Fass er an den Ufern des Río de la Plata gefüllt hatte. Die Hausierer, Bettler und Hunde trugen zum allgemeinen Trubel bei, der hin und wieder durch das Glockengeläut der Kirchen übertönt wurde.
    Man sah wieder viele Frauen in den Straßen. Trugen sie Schwarz, waren sie auf dem Weg zur Messe, es sei denn, sie waren in Trauer; ansonsten liebten sie bunte Farben, und man sah sie nie ohne Kopfbedeckung. Die Tage wurden kürzer und der Wind kühler, die Röcke und Jacken dicker, und die Herren entstaubten ihre Mäntel und ihre Winterumhänge. Das gesellschaftliche Leben florierte. Es gab keinen Tag in der Woche, an dem man sich nicht zum Tee oder zu einer Soirée traf, wo es nur ein Thema gab: die skandalöse Hochzeit des Grafen von Stoneville mit dem Schwarzen Engel. Hinter den Fächern wurde getuschelt, dass Melody am Tag der Hochzeit bestimmt keine Jungfrau mehr war.
    »Unmöglich!«, ereiferte sich Melchora Sarratea. »Die beiden unter einem Dach, und das bei einem Don Juan wie dem Grafen.«
    Die meisten waren der Meinung, Melody verhalte sich nicht wie eine Gräfin. Sie kümmerte sich nach wie vor um die Krankheiten und das Leid der Sklaven – jetzt plante sie auch noch die Gründung eines Hospizes –, sie kleidete sich nicht standesgemäß und war stets in Begleitung dieses Gottlosen mit Turban und dieses schwarzen Riesen unterwegs. Sie nahm keine Einladungen an und hatte auch noch nicht zum Empfang in El Retiro geladen.
    Casilda Igarzábal, die Frau von Nicolás Rodríguez Peña, verteidigte sie: »Die Frau Gräfin wartet mit der Einladung, bis die Renovierung des Hauses in der Calle San José abgeschlossen

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