Dem Winde versprochen
bewegte.
Béatrice verzichtete ohne großes Federlesen auf ihre Rolle als Hausherrin. Sie, die immer so anspruchsvoll und gewissenhaft gewesen war, kümmerte sich nicht mehr um die häuslichen Belange, als würden sie sie plötzlich nicht mehr interessieren. Ihr ganzes Wesen hatte sich verändert. Sie sprach wenig und leise, und nur in ihrem Garten oder den Gesprächen mit Monsieur Désoite schien sie aufzublühen. Der Name Traver wurde seit seiner überstürzten Abreise nicht mehr erwähnt, und Melody hütete sich zu fragen, ob er zurückkäme, um sie zu heiraten.
Madame Odiles wöchentliche Besuche in El Retiro waren zur Gewohnheit geworden. Sie fanden in Melodys Privatgemach statt, von dem aus man einen herrlichen Blick über den Park hatte. Sie tranken Tee und redeten. Mit ihr konnte Melody über alles sprechen. Bei Madame Odile konnte sie einfach so sein, wie sie war.
»Madame, warum kann ich Roger gegenüber nicht so offen sein wie zu Ihnen? Manche Dinge verberge ich vor ihm, und ich fühle mich schlecht deswegen, aber es geht nicht anders.«
»Du liebst ihn eben zu sehr und hast Angst, ihn zu verlieren. Du weißt, dass mich das, was du erzählst, nie gegen dich aufbringen würde, dass du mich nie verlieren würdest, denn uns verbindet Freundschaft, nicht Leidenschaft. Die Leidenschaft ist das Salz der Liebe, aber manchmal auch ihr Tod.«
An einem Nachmittag Ende März war Madame ziemlich aufgeregt. Gleich nach der Begrüßung sagte sie: »Ich muss dir die Karten legen. Misch und zieh.«
Sie brauchte Melody nicht zu erklären, wie sie die Karten hinlegen musste: eine horizontal und sechs vertikal.
»Jetzt nimm noch eine und leg sie zu den anderen sechs, aber etwas weiter weg. Sie ist die Antwort auf die Probleme.«
Die horizontale Karte war der Narr.
»Das sind Menschen, die nur durch Kummer und Schläge lernen. Sie bereiten sich und anderen viel Scherereien«, erklärte Madame.
»Wie Tommy.«
Die erste der vertikalen war die Hohepriesterin, rätselhaft und geheimnisvoll. Bei ihr fand alles im Dunkeln statt. Ebenso sagte sie bedeutende Veränderungen voraus.
»Das wird sich während des nächsten Mondes zeigen«, prophezeite Madame Odile. »Und jetzt dreh diese hier um. Oh, die Herrscherin!«
»Was bedeutet das?«, fragte Melody besorgt.
»Sie steht für wahre Liebe, die, die Früchte trägt.« Madame Odile legte die Hand auf Melodys Bauch und sah sie fragend an, doch Melody schüttelte den Kopf.
Es folgten die Liebenden, wenngleich Madame sagte, in dem Fall würde sie von den »Rivalen« sprechen, da sie einen Bruch symbolisierten. Das Glücksrad kündete von Veränderungen, dem Sturz von Glück und Fülle in Traurigkeit und Armut.
Es tauchte noch der Teufel auf, das Böse, die Versuchung, sich mit unlauteren Methoden einen Vorteil zu erschleichen, und dann folgte der »Turm«, die Karte mit dem schlechtesten Omen, denn sie stand für unvorhergesehenes Unglück.
»Bevor du die letzte Karte aufdeckst, gehen wir mal durch, was wir haben. Mit Sicherheit kündigt sich eine Veränderung an, die dein Leben aus der Bahn werfen wird. Es gibt Zweifel, Misstrauen, Geheimnisse. Du wirst gezwungen sein, eine Entscheidung zu treffen. Ich sehe Unvernunft und Unbesonnenheit, aber auch Bosheit, viel Bosheit. Ich weiß nicht, ob das alles aus einer Quelle kommt, aber ich kann dir sagen, dass sie zusammen die Veränderung bewirken, von der ich sprach.«
Ängstlich drehte Melody die letzte Karte um. Es war der Herrscher.
»Gut«, sagte Madame Odile und seufzte. »Er ist eindeutig dein Schicksal, die Antwort auf all deine Fragen.«
Martín de Álzaga ging nach der Sonntagsmesse gewöhnlich in das Café de los Catalanes. Dabei leisteten ihm seine engsten Freunde, Sarratea, Basavilbaso und Santa Coloma, Gesellschaft, hin und wieder auch Larrea und Manuel de Anchorena. Nach der Messe trafen sie sich im Vorhof der Iglesia de San Ignacio und plauderten ein wenig mit ihren Bekannten. Wenn sich die Menge zerstreute, machten auch sie sich auf den Weg.
An dem Tag flüsterte Sarratea Álzaga in dem Café zu: »Da
draußen steht dieser Neger, Sabas, der Valdez e Inclán gehörte.«
»Roger Blackraven wolltest du sagen«, bemerkte Álzaga. Sarratea verzog den Mund und nickte. »Er beobachtet uns schon seit einer geraumen Weile durch das Fenster.«
»Ich habe ihn im Vorhof gesehen, hinter dem Gitter. Er suchte Blickkontakt, aber ich habe getan, als würde ich ihn nicht bemerken.«
»Vergiss nicht, dass er es war,
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