Dem Winde versprochen
eiserner Hand lenkte. Trotz der Geschwindigkeit gehorchte das Tier seinen Befehlen. Auf dem Feld war es ganz still. Kein Geräusch war zu hören, nicht die Befehle des Reiters, nicht das
Rascheln des den Wind peitschenden Stoffes, nicht das Getrappel der den Boden malträtierenden Hufe. Sogar die Vögel schienen ihr Zwitschern eingestellt zu haben.
Der Reiter richtete sich leicht auf, da fiel ihm die Kapuze auf den Rücken. Blackraven wich zurück und unterdrückte einen Ausruf des Erstaunens, als er eine üppige lange Haarmähne mit dem Wind kämpfen sah. Die zaghaften Sonnenstrahlen fuhren über die rötlichen Strähnen und entlockten ihnen einen goldenen Schimmer. Einen solchen Farbton, ein flammendes Rot, hatte er auf seinen ganzen Reisen noch nie gesehen – das Mädchen drehte sich um, als wollte es sehen, wie weit es von seinen Verfolgern entfernt war. Doch sie wurde von niemandem verfolgt, und in der Eile entging ihr der Mann, der in der Ferne am Wegesrand stand und sie erstaunt beobachtete.
Blackraven begriff, dass sie auf die Feigenkaktushecke zuritt, die seine Ländereien von denen Altolaguirres trennte. Sie würde sie nicht überspringen können. Sogar für ihn war sie zu hoch und breit gewesen. Es wäre schade, zu sehen, wie sie fiel und die harmonische Figur zerstörte, die sie auf diesem prächtigen Pferd abgab. Ihre Waghalsigkeit oder Unwissenheit würden sie teuer zu stehen kommen.
Instinktiv hielt er den Atem an. Fünf Ellen, vier Ellen, drei, zwei … Das Mädchen stand in den Steigbügeln, hob die Zügel, und das Pferd sprang mit erhabener Eleganz über den Zaun. Es zog die Beine an, die den oberen Teil der Kakteen nur leicht streiften. Es landete auf festem Boden und galoppierte weiter, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, bis es schließlich im dichten Hochwald verschwand.
Blackraven schnappte nach Luft.
Dann murmelte er: »Gütiger Gott!«
Vom Glockenturm aus konnte Servando die gesamte Umgebung von El Retiro überblicken: den breiten Fluss, das Kloster
des Recoletos-Ordens und Los Olivos. Er blickte starr Richtung Süden.
Servando sehnte den Sonnenaufgang herbei. Die Dunkelheit war die Komplizin von Flucht und Versteck. Im Osten wurde es schon hell. Mit den ersten Lichtstrahlen sah er in der Ferne auf dem Weg eine Kutsche mit zwei Pferden. Das wunderte ihn, denn die meisten wurden von Eseln gezogen, mit Ausnahme der Kutschen des Vizekönigs und des ein oder anderen ranghohen Staatsdieners. An der schwarzen Tür war eine Art Bild, vielleicht ein Familienwappen.
Es beunruhigte ihn, dass die Kutsche plötzlich anhielt, und dann stieg auch noch ein Fahrgast mit Hund aus. Auf die Entfernung war die Gestalt sehr klein, aber Servando erkannte, dass es sich um einen kräftigen und groß gewachsenen Mann handelte. Er bewegte sich in aller Gemütsruhe und ließ in der rechten Hand einen Stock kreisen. Dann blieb er stehen und blickte in die Landschaft.
Servando hatte Miss Melody vor dem Fremden erspäht. Wie immer blieb sein Blick an der ungewöhnlichen Gestalt zu Pferd hängen, die die morgendliche Stille durchbrach. Sie galoppierte querfeldein, übersprang Büsche und Zäune.
Servando eilte die schmale Treppe des Turms hinunter in den hinteren Teil des Hauses.
Gleich würde Miss Melody mit Fuoco zurückkehren. Die geschäftig umhereilenden Sklaven waren an diese morgendlichen Ausritte schon gewöhnt, und auch daran, dass sie Hosen und Stiefel trug und rittlings auf dem Pferd saß.
Er hörte Hufgetrappel und dann Miss Melodys tiefe Stimme, die dem Pferd den Befehl zum Schritt gab. Die Mähne am schweißnassen Hals klebend und mit Schaum vor den Nüstern, trabte Fuoco in den Hof. Die Sklaven grüßten Miss Melody lächelnd, und Tacisio, der Sattler, nahm die Mütze ab und wedelte damit in der Luft herum, als reite eine Königin an ihm vorbei.
Servando öffnete die Stalltür, und Melody lenkte Fuoco hinein. Als die Tür zuging, wurde es wieder dunkel. Nichts außer Stille und dem Geruch von feuchtem Heu und Pferdemist. Melody war glücklich in dieser vertrauten Umgebung, in der sie sich sicher fühlte. Mit pochendem Herzen schlang sie die Arme um Fuocos Hals.
»Du hast mir das Leben gerettet, Fuoco. Wenn du nicht gewesen wärest, hätten sie mich erwischt.«
»Miss Melody!«, rief Servando entsetzt und kam auf das Pferd zugelaufen. »Machen Sie mir keine Angst. Was wollen Sie damit sagen, ohne Fuoco hätte man Sie erwischt?«
Mit einem Satz stand Melody auf dem Boden und bückte
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