Dem Winde versprochen
sie sollte ihn bewundern wie all die anderen.
»Hier, nehmen Sie«, sagte Blackraven und gab ihr Angelitas
Briefe. »Sie sind von der jüngsten Valdez e Inclán. Einer ist für Señorita Leonilda.« Wortlos nahm Melody die Umschläge. »Ich fände es besser, wenn Sie ihn ihr geben, vor mir scheint sie sich zu fürchten wie vor einem wilden Tier.«
»Was für eine unsinnige Angst«, spottete Melody, und Blackraven sah sie verdutzt an. Dann sagte er: »Morgen will ich noch vor Mittag meine Sklavin wiederhaben. Und jetzt können Sie sich zurückziehen.«
»Gute Nacht«, sagte Melody und verließ den Raum.
Somar traf im Flur auf die neue Hauslehrerin und die Kinder. Er nickte ihr zu, und sie nickte ebenfalls. Als er Blackravens Büro betrat, war er überrascht, ihn auf dem Sofa vorzufinden, die Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben.
»Ich habe gerade Víctors Lehrerin getroffen. Sie hat einen hochnäsigen Blick, ist jedoch sehr hübsch.«
»Hochnäsig ist sie, das kann man wohl sagen. Sie hat mich schon dreimal auf die Palme gebracht, seit wir uns kennengelernt haben. Und das war erst heute Morgen.«
Somar drehte sich um, damit sein Herr das Lächeln nicht sah. Blackraven schenkte sich noch einen Brandy ein. Er hatte zu viel getrunken, aber das war ihm egal.
»Auch einen Schluck?«
»Nein, danke.«
»Wo ist denn Sansón?«, fragt er irritiert und suchte den Raum ab.
»Er ist Miss Melody und den Kindern hinterhergetrottet. Er scheint die Gesellschaft seiner neuen Freunde zu genießen.«
»Dämlicher Hund. Sie wird auch ihn verderben. Warst du bei Louis?«
»Ich komme gerade von ihm. Er sagt, er fühle sich im
Los Tres Reyes
sehr wohl, und das Essen sei annehmbar. Er sagt, er habe
schon in solchen Löchern geschlafen, dass ihm diese Herberge wie ein Palast vorkomme. Er ist ein großartiger Junge, stets gut gelaunt, und auch den schlimmsten Situationen versucht er noch etwas Gutes abzugewinnen.«
»Ist Milton als Wache abgestellt?« Blackraven sprach von einem seiner Seeleute, der besonders flink mit dem Messer umgehen konnte.
»Ja, im Nachbarzimmer. Die Verbindungstür zwischen beiden Räumen ist Tag und Nacht offen. Trotz der Hitze habe ich angeordnet, dass die Fenster geschlossen bleiben. Morgen wird er von Shackle abgelöst.«
»Hast du die Treffen mit O’Maley und Zorrilla vereinbart?«
»Morgen Abend, um dieselbe Uhrzeit, an den bekannten Orten.« Blackraven nickte abwesend. »Hast du Papá Justicia schon getroffen?«
»Nein, gleich. Ich muss dringend mit ihm sprechen. Er hat immer eine Fülle von Informationen.«
Blackraven stellte das Glas auf das Tablett und steckte das Hemd in die Hose.
»Vergewissere dich, dass alle Türen und Fenster verschlossen sind«, befahl er Somar, während er sein Jackett anzog und sein Rapier nahm. »Und dann geh schlafen.«
»Steht morgen etwas Besonderes an?«
»Ich möchte, dass du hier in El Retiro bleibst. Ich werde den größten Teil des Tages außer Haus sein, und ich will, dass meine Anordnungen befolgt werden. Bustillo traue ich nicht.«
»Aber Miss Melody ist doch da«, sagte Somar spöttisch.
Fünf Jahre zuvor hatte Roger Blackraven in London eine Geheimgesellschaft gegründet,
The Southern Secret League
. Gemeinsam mit den mächtigsten Adeligen und Bürgern Großbritanniens wollte er die Herrschaft über die südliche Halbkugel übernehmen. Diese war reich an den für die aufstrebende englische Industrie
so wichtigen Bodenschätzen. Das Wirtschaftsimperium, das er in Jahren intensiver Arbeit aufgebaut hatte, und die damit verbundene politische Macht hatten in ihm, dem künftigen Herzog, eine gewisse Kühnheit geweckt. Er traute sich alles zu, sogar, hinter den Kulissen die halbe Welt zu dirigieren.
Im Unterschied zum Kolonialsystem, das im Interessengebiet militärisch aktiv wurde, hatte Blackraven sich vorgenommen, das gemeine Volk subtil und kaum merklich zu beherrschen, unterstützt von einem winzigen Grüppchen Einheimischer, einer Elite erlauchter Männer mit wenig wirtschaftlicher Macht, die sich den Anliegen des Bündnisses verschrieben und die er im Gegenzug reich machen würde.
Ihn interessierten vor allem die großen kaum entwickelten Gebiete, in denen die meisten Einwohner nicht einmal wussten, welche Fülle an Naturschätzen sie besaßen. So gab es in Südamerika riesige Ländereien, die ideal für die Viehzucht waren; in den Anden verbargen sich Minen von unschätzbarem Reichtum; und auch
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