Dem Winde versprochen
Kuhköpfen vor, die von Fliegenschwärmen verfolgt werden. Niemand sollte ihn je so sehen, vor allem Elisea nicht.
Servando badete jeden Abend im Fluss, auch im Winter, und wusch sich mit der von ihm selbst hergestellten Seife. Dann zog er die Sachen an, die Tommy Maguire beim Kartenspiel gewonnen hatte, und erst dann ging er zurück in das Haus in der Calle Santiago.
Elisea war es gleich, welches Handwerk Servando verrichtete. Sein Ruf als Liebhaber lockte sie. Sie hatte gehört, dass die Sklavinnen sich um ihn rissen. Das hatte sie neugierig gemacht. An
einem Abend hatte sie sich in den Bereich der Dienstboten geschlichen und auf ihn gewartet. Sie hatte sich in den Hühnerstall begeben und so getan, als ob sie sich für die frisch geschlüpften Küken interessierte. Als sie ihn kommen sah, sprang sie auf. Das Buch auf ihrem Schoß fiel vor Servandos nackte Füße. Wortlos hob er es auf.
»Was ist das?«
»Ein Buch.«
»Wozu dient es?«
»Um Geschichten aufzuschreiben.«
»In meinem Stamm werden die Geschichten erzählt.«
»Ich könnte Ihnen diese Geschichte ja erzählen.«
Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu und gab ihr das Buch zurück.
»Es heißt
Ilias
. Es ist eine faszinierende Geschichte. Wir könnten gleich heute anfangen.«
»Heute Abend also. Ich warte im Schuppen beim Pferdestall.«
In wenigen Tagen merkte Elisea, dass Servando sehr klug war. Er stellte intelligente Fragen und wartete mit geistreichen Auslegungen auf, wo sie den Text nicht verstand. Eines Abends brachte sie Papier und Bleistift mit und wollte ihm Lesen und Schreiben beibringen.
»Warum soll ich lernen, Geschichten mit den Augen zu erfassen?«, fragte er aufgebracht. »Was bringt mir das, wenn ich zu meinen Leuten zurückkehre? Dort gibt es keine Bücher.«
»Solange Sie hier sind, kann Ihnen das nützlich sein.«
»Sie ertragen es nur einfach nicht, dass ich ein ungebildeter Neger bin, nicht wahr? Sie schämen sich meinetwegen, weil ich so bin, wie ich bin, oder?«
»Was reden Sie da?«
»Aber ja! Ich bin ja nicht so wie dieser feine Pinkel, der Sie immer besucht.«
Servandos Eifersucht brachte sie zum Lachen.
»Worüber lachen Sie?«
»Ich lache über Sie, weil Sie auf Ramiro eifersüchtig sind.«
»Ja, und wie.« Servando umfasste ihre Taille und zog sie an sich. Seine üppigen dunklen Lippen pressten sich auf ihre. Ihr blieb die Luft weg.
Von da an trafen sie sich jede Nacht. Sie liebten sich und lasen, erst die
Ilias
, später andere Werke. Zu Eliseas Erstauen lernte er rasch Lesen und Schreiben und bemühte sich, in korrektem Spanisch mit ihr zu sprechen. Sie war eifersüchtig auf Miss Melody, weil Servando sie verehrte, aber sie hütete sich, etwas Schlechtes über sie zu sagen, um ihn nicht zu verärgern. Sie konnte seine Geliebte sein, aber Miss Melody war seine Göttin.
Mit der Zeit liebte Servando Elisea so sehr, dass er nicht mehr daran dachte, nach Afrika zurückzukehren oder sich zu rächen. Wenn sie erregt und voller Hingabe unter ihm lag, glaubte er, er könne jedes Ziel erreichen. Doch im Sonnenlicht zerbrach der Traum. In der Schlachterei holte ihn die Wirklichkeit wieder ein. Er war ein Sklave, sie die Tochter seines Herrn, und bevor man ihnen ein gemeinsames Leben erlaubte, würde man sie beide hinrichten.
Elisea zuliebe würde er dieser Beziehung ein Ende machen. Er hatte Angst, es könne Gerede geben. Sabas war nervös, als liege er ständig auf der Lauer, und wenn er betrunken war, wurde er gewalttätig. Es dauerte nicht lange, und es kursierten Gerüchte von einer neuen Geliebten. Als Miss Melody ihm anbot, die Sommermonate mit nach El Retiro zu gehen, ergriff er die Gelegenheit beim Schopf.
»Das ist von Vorteil für dich. Dann arbeitest du für Mister Blackraven.«
»Ich komme mit, Miss Melody.«
Er schrieb eine Nachricht für Elisea, deponierte sie in dem Fach, in dem sie immer das Buch aufbewahrten, und verschwand.
Die Tage wurden ihm zur Qual. Sein Körper lechzte nach der Berührung von Eliseas Haut, er sehnte sich nach ihrem Duft und ihren hingehauchten Worten, er vermisste die gemeinsamen Stunden, das Lesen und die Abschiede voller Versprechen. Als er von der seltsamen Krankheit erfuhr, unter der sie litt und von der kein Arzt sagen konnte, was es war, wurde er schier verrückt vor Angst. Da schrieb er ihr und erklärte ihr, warum er geflohen war. Am Ende des Briefes bat er sie: Ich möchte, dass du für mich lebst, und ich verspreche dir, dass wir immer zusammen sein
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