Dem Winde versprochen
geschmeidig wie eine Katze. Die erste Tür
war mit dem Dietrich schnell geöffnet. Um zu Travers Zimmern zu gelangen, die auf die Calle de la Piedad hinausgingen, musste er einmal das Haus durchqueren.
Als er sich in Travers Räumen befand, machte er ein paar Kerzen an. Wenn die Witwe oder jemand vom Personal wach wurde, würde man ihn für den Untermieter halten. Er sah sich um. Die Zimmer waren spärlich möbliert. Das eine diente als Schlafzimmer, das andere als Empfangsraum. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges zu sehen. Doch bei genauem Hinsehen fiel Blackraven auf, dass dieser Traver kein Händler sein konnte: Die wenigen Bücher, die er besaß, waren auf Französisch geschrieben, und es gab weder ein Kassenbuch noch irgendwelche Abrechnungen oder Empfangsquittungen. Dann durchsuchte er den Kleiderschrank. Die Anzüge stammten mehrheitlich von Pariser Schneidern. Eine Truhe am Fußende des Bettes erregte seine Neugier. Es war, wie er vermutet hatte: Es gab ein Geheimfach, und darin lagen mehrere Feuerwaffen.
Auch wenn Traver viele Gründe haben mochte, seine wahre Identität und Herkunft zu verschleiern, sagte Blackraven sein Instinkt, dass sie mit seiner Cousine Marie – die er hier unter dem falschen Namen Béatrice versteckt hatte – zu tun hatten. Er wollte unbedingt einen Beweis finden, um etwas unternehmen zu können. Er sah sich weiter um und überlegte, wo er die geheimsten Dinge aufbewahren würde. Viele Möglichkeiten gab es nicht, denn es gab keine Bilder an den Wänden, nur Kruzifixe, und keine Diele war rissig oder locker. Er durchsuchte den Schreibtisch, die Schubladen und noch einmal den Kleiderschrank und die Truhe, die Matratze, bis sein Blick an der Vertäfelung am Kopfende des Bettes hängen blieb, das mit zwei Kugeln aus massivem Jakarandaholz verziert war. Sofort wusste er, wo sich Travers Geheimdokumente verbargen: an der Rückseite der linken Kugel klebte ein Haar. Er drehte die Kugel ab, die fachmännisch ausgehöhlt worden war, und fand eingerollte Papiere, vier aus französischen
Wörtern und Zahlen bestehende Nachrichten. Die Handschrift war die Travers.
Blackraven prägte sich alles genau ein. Es würde ihn Tage kosten, es zu entschlüsseln. Dann rollte er die Blätter ein, verstaute sie wieder an ihrem Platz und vergaß auch nicht, das Haar wieder mit Speichel anzukleben. Bevor er ging, vergewisserte er sich, dass er keine Spuren hinterlassen hatte. Dann löschte er die Kerzen und schlich hinaus in den dunklen Flur.
Auf dem Rückweg überlegte er, was Traver wohl im Schilde führte. Es stand zweifelsfrei fest, dass er Franzose war, wahrscheinlich ein Spion Napoleons. Das war nicht weiter überraschend. Schon seit Jahren kämpften Frankreich und England um Macht und Einfluss in Buenos Aires und Montevideo, sodass es vor Spionen nur so wimmelte.
Doch sein Instinkt sagte ihm, dass es im Fall des falschen Schotten nicht allein um Spionage ging. Warum machte er Marie den Hof, wenn es so viele reiche und hübsche Frauen in Buenos Aires gab? Marie war keine Schönheit, und sie brachte keine Mitgift mit in die Ehe. Natürlich könnte man ins Feld führen, dass es womöglich einfach Liebe war, aber es fiel ihm schwer, an Zufälle zu glauben. Ein finsterer Gedanke schoss ihm durch den Kopf und vertrieb die Müdigkeit auf einen Schlag: Sein ärgster Feind kannte Maries wahre Identität, denn er war an ihrer Rettung beteiligt gewesen. Er versuchte sich einzureden, Simon Miles würde sich an die Regel halten, Frauengeschichten und Arbeit strikt zu trennen. Doch der Name und die damit verbundenen Erinnerungen ließen ihn Black Jack antreiben. Wieder in El Retiro, ging er sogleich zu Somar ins obere Stockwerk.
»Nichts Neues«, sagte dieser. »Nur, dass Miss Melody eine unruhige Nacht hatte.«
»Was ist passiert?«, fragte er und machte sich sogleich auf den Weg in ihr Zimmer.
»Reg dich nicht auf, es geht ihr gut«, sagte Somar und reichte
ihm einen Kerzenleuchter. »Es war wegen Jimmy. Er ist mitten in der Nacht zusammengebrochen.«
»Verdammt!«
»Er schläft jetzt. Miss Melody hat getan, was die Ärzte ihr für solche Fälle geraten haben. Sie hat ihm seine Medizin gegeben und ihm gut zugeredet. Und wie war es bei dir?«
»Mein Verdacht hat sich bestätigt. Ich berichte dir morgen davon. Geh jetzt zu Bett.«
Leise öffnete Blackraven die Tür zu Melodys Zimmer. Er hob den Kerzenleuchter in die Höhe und es bot sich ihm ein herzzerreißendes Bild: Melody saß auf Höhe des
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