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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Mysterium des Opfers denken. Man kann, auch ohne solche Handlungen, seine Triebe und sogenannten Anfechtungen mit Achtung und Liebe behandeln. Dann zeigen
    sie ihren Sinn, und sie haben alle Sinn. – Wenn Ihnen wieder einmal etwas recht Tolles oder Sündhaftes einfällt, Sinclair, wenn Sie jemand umbringen oder irgendeine gigantische Unflätigkeit begehen möchten, dann denken Sie einen Augenblick daran, daß es Abraxas ist, der so in Ihnen phantasiert! Der Mensch, den Sie töten möchten, ist ja nie der Herr Soundso, er ist sicher nur eine Verkleidung. Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“

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    Nie hatte mir Pistorius etwas gesagt, was mich so tief im Heimlichsten
    getroffen hatte. Ich konnte nicht antworten. Was mich aber am stärksten und sonderbarsten berührt hatte, das war der Gleichklang dieses Zuspruches mit Worten Demians, die ich seit Jahren und Jahren in mir trug. Sie wußten nichts voneinander, und beide sagten mir dasselbe.
    Die Dinge, die wir sehen“, sagte Pistorius leise, sind dieselben Dinge, die
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    in uns sind. Es gibt keine Wirklichkeit als die, die wir in uns haben. Darum leben die meisten Menschen so unwirklich, weil sie die Bilder außerhalb für das Wirkliche halten und ihre eigene Welt in sich gar nicht zu Worte kommen lassen. Man kann glücklich dabei sein. Aber wenn man einmal das andere weiß, dann hat man die Wahl nicht mehr, den Weg der meisten zu gehen. Sinclair, der Weg der meisten ist leicht, unsrer ist schwer. – Wir wollen gehen.“
    Einige Tage später, nachdem ich zweimal vergebens auf ihn gewartet hat-
    te, traf ich ihn spät am Abend auf der Straße an, wie er einsam im kalten Nachtwinde um eine Ecke geweht kam, stolpernd und ganz betrunken. Ich
    mochte ihn nicht anrufen. Er kam an mir vorbei, ohne mich zu sehen, und starrte vor sich hin mit glühenden und vereinsamten Augen, als folge er einem dunklen Ruf aus dem Unbekannten. Ich folgte ihm eine Straße lang, er trieb wie an unsichtbarem Draht gezogen dahin, mit fanatischem und doch aufgelöstem Gang, wie ein Gespenst. Traurig ging ich nach Hause zurück, zu meinen unerlösten Träumen.
    So erneuert er nun die Welt in sich!“ dachte ich und fühlte noch im selben
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    Augenblick, daß das niedrig und moralisch gedacht sei. Was wußte ich von seinen Träumen? Er ging vielleicht in seinem Rausch den sicherern Weg als ich in meiner Bangnis.
    In den Pausen zwischen den Schulstunden war mir zuweilen aufgefallen, daß ein Mitschüler meine Nähe suchte, den ich nie beachtet hatte. Es war ein kleiner, schwach aussehender, schmächtiger Jüngling mit rötlichblondem, dünnem Haar, der in Blick und Benehmen etwas Eigenes hatte. Eines Abends, als
    ich nach Hause kam, lauerte er in der Gasse auf mich, ließ mich an sich vorübergehen, lief mir dann wieder nach und blieb vor unsrer Haustür stehen.
    Willst du etwas von mir?“ fragte ich.
    ”Ich möchte bloß einmal mit dir sprechen, sagte er schüchtern. Sei so gut
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    und komm ein paar Schritte mit.“
    Ich folgte ihm und spürte, daß er tief erregt und voll Erwartung war. Seine Hände zitterten.
    Bist du Spiritist?“ fragte er ganz plötzlich.
    ”Nein, Knauer“, sagte ich lachend. Keine Spur davon. Wie kommst du auf
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    so etwas?“

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    Aber Theosoph bist du?“
    ”Auch nicht.“
    ”Ach, sei nicht so verschlossen! Ich spüre doch ganz gut, daß etwas Besonde-
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    res mit dir ist. Du hast es in den Augen. Ich glaube bestimmt, daß du Umgang mit Geistern hast. Ich frage nicht aus Neugierde, Sinclair, nein! Ich bin selber ein Suchender, weißt du, und ich bin so allein.“
    Erzähle nur!“ munterte ich ihn an. Ich weiß von Geistern zwar gar nichts,
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    ich lebe in meinen Träumen, und das hast du gespürt. Die anderen Leute leben auch in Träumen, aber nicht in ihren eigenen, das ist der Unterschied.“
    Ja, so ist es vielleicht“, flüsterte er. Es kommt nur drauf an, welcher Art
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    die Träume sind, in denen man lebt. – Hast du schon von der weißen Magie gehört?“
    Ich mußte verneinen.
    Das ist, wenn man lernt, sich selber zu beherrschen. Man kann unsterblich
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    werden und auch zaubern. Hast du nie solche Übungen gemacht?“
    Auf meine neugierige Frage nach diesen Übungen tat er erst geheimnisvoll, bis ich mich zum Gehen wandte, dann kramte er aus.
    Zum Beispiel, wenn ich einschlafen oder auch mich konzentrieren

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