Demokratie! - wofür wir kämpfen
diese Natur freie, gleiche und demokratische Gesellschaften und politische Systeme hervorbringen würde. Jede politische Organisation erfordert die Produktion von Subjekten. Wir müssen eine Multitude schaffen, die zu demokratischem Handeln und zur Selbstverwaltung des Gemeinsamen in der Lage ist.
Ein Beispiel mag unsere Forderung klarer machen. Als die spanischen indignados , die im Frühjahr 2011 Plätze besetzt hatten, im Herbst desselben Jahres die Wahlen boykottierten, wurden sie heftig kritisiert. Ihre Gegner beschimpften sie als verantwortungslose Anarchisten und warfen ihnen vor, ihreWeigerung, sich an Institutionen und Wahlen zu beteiligen, sei Ausdruck von Ideologie und Hysterie. Sie spalteten die Linke! Die indignados sind natürlich keine Anarchisten und sie sind auch nicht dafür verantwortlich, wenn sich die Linke spaltet. Vielmehr eröffnen sie die seltene Chance, das Projekt der Linken zu erneuern. Es waren übrigens dieselben Aktivisten gewesen, die den Sozialisten und Zapatero wenige Jahre zuvor zu einem überraschenden Wahlsieg verholfen hatten: Als rechte Politiker die baskische Untergrundorganisation ETA für den tragischen Bombenanschlag im Madrider Bahnhof Atocha verantwortlich machten, verbreiteten sie die Wahrheit über eine erstaunliche Stafette von SMS und anderen Medien. 4 Im Herbst 2011 blieben die indignados auch deshalb den Urnen fern, weil sie sich von den Sozialisten betrogen fühlten und diese nicht für eine Fortsetzung der neoliberalen Politik belohnen wollten. Ein wichtigerer Grund war jedoch, dass sie nun größere Kämpfe auszutragen hatten: Es geht um die repräsentative Demokratie und die verfassungsmäßige Ordnung selbst – eine Auseinandersetzung, die in Spanien auf den Kampf gegen den Faschismus zurückgeht und ein neues und kritisches Licht auf den sogenannten Übergang zur Demokratie nach dem Ende der Franco-Diktatur wirft. Obwohl es aus Sicht der indignados in erster Linie um den Abschied von der bestehenden und nicht um die Schaffung einer neuen Verfassung geht, bereitet ihr Kampf schon den Boden für eine Neukonstituierung.
Kapitel 3
Eine Verfassung für das Gemeinsame
Grundsatzerklärung
In den beiden vorangegangenen Kapiteln haben wir klar gemacht, dass der neoliberale Kapitalismus nicht in der Lage ist, auf internationaler Ebene wirkungsvolle Regeln aufzustellen und durchzusetzen. Deshalb gelingt es den Finanzmärkten immer wieder, Volkswirtschaften und Gesellschaften aus den Angeln zu heben und den Armen weiter zu schaden. Die gegenwärtige Situation zeichnet sich durch zwei weitere Eigenschaften aus. Erstens findet die Produktion heute regional und global unter dem Vorzeichen des Gemeinsamen statt: Die Arbeitskraft wird kollektiv, das Leben selbst wird zur Arbeit gezwungen, Gemeingüter werden vom Finanzkapitalismus ausgebeutet und so weiter. Und zweitens leidet die kapitalistische Entwicklung unter einer unlösbaren wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Krise. Diese Krise rührt zum Teil daher, dass die Produktionskräfte immer kollektiver werden, während die Regeln der Produktions- und Besitzverhältnisse weiterhin individuell und privat bleiben, weshalb sie der neuen Wirklichkeit nicht gerecht werden und den neuen Formen der Wertschöpfung zuwiderlaufen.
Anders als die Regierungen Englands oder der Vereinigten Staaten der 1930er Jahre, die mit Krisen ähnlichen Ausmaßes konfrontiert waren, sind die herrschenden Mächte von heute nicht in der Lage, politische Lösungen vorzulegen, mit denen sich die wirtschaftlichen und sozialen Probleme beilegen ließen. Kein John Maynard Keynes und kein Franklin D. Roosevelt sind auf die Bühne getreten, aber ihre alten Rezepte, die auf die industrielle Produktion der Zeit zugeschnitten waren, lassen sich ohnehin nicht auf die postindustrielle Ära anwenden. Das herrschende neoliberale und marktwirtschaftliche Denken hat nichts zu bieten. Daher benötigen wir einen qualitativen Sprung, einen Paradigmenwechsel.
Die herrschenden Kräfte sind auch nicht imstande, die politischen Verfassungen so zu reformieren, dass sie Antworten auf diese Krise bieten. In der modernen Geschichte mussten Verfassungsreformen immer vermitteln – die liberalen Verfassungen zwischen den Kräften des Marktes, die sozialstaatlichen zwischen Kapital und Arbeit. Es ist noch nicht absehbar, welche Vermittlungen der Aufstieg des Finanzkapitalismus erforderlich machen würde. Repräsentation, Demokratie und nationale Souveränität
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