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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campus
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das Leben.« Um wahrhaft sicher zu sein, müssen wir uns nach Ansicht von Spinoza nicht zur größten Macht aufschwingen und alle Feinde niederringen; wir müssen weder den Tod besiegen noch wie der katechon des Heiligen Paulus alles Böse überwinden. Wir halten uns nicht für unsterblich, doch wir konzentrieren uns so sehr auf die Freuden des Lebens, dass der Tod unwichtig wird. Die Demonstranten, die in ihren Zeltlagern zusammen sind und diskutieren, die einander widersprechen und sich auseinandersetzen, scheinen Spinozas Wahrheit entdeckt zu haben: Wir können nur dann wirklich sicher sein und ohne Angst leben, wenn wir gemeinsam die Freiheit schaffen.
Verfasst Euch!
    Du repräsentierst mich nicht! ¡Que se vayan todos! Millionen von Menschen brachten während der Krise des Neoliberalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts in diesen und ähnlichen Worten ihre Ablehnungen der repräsentativen Demokratie zum Ausdruck. Ein neuer Aspekt dieser Proteste ist, dass sie die Krise nicht nur als wirtschaftliche, soziale und politische Krise begreifen, sondern auch als eine Krise der politischen Verfassung, und dass sie repräsentative Strukturen und liberale Staatsformen angreifen. Der Gedankensprung vom »Willen aller« zum »Gemeinwillen«, der hinter der Theorie und Praxis des repräsentativen Systems steckt, hat sich endlich als fatal erwiesen, und auch neue Regierungsformen, die wie ein Netz gespannt wurden, um den Sturz des Seiltänzers aufzufangen, erwiesen sich als zu schwach.Es fällt zunehmend schwer zu glauben, dass sich die bestehenden Verfassungen retten lassen. Im 18. Jahrhundert bezeichnete man mit dem Begriff ancien régime die Herrschaft der gepuderten Perücken, aber heute ist die repräsentative Demokratie das »alte Regime«. Nach mehr als zwei Jahrhunderten ist die Zeit der liberalen Verfassungen abgelaufen.
    Die Verfassungsdiskussion muss neu eröffnet werden. Dieser radikalen Forderung geht es nicht nur um den Inhalt (zum Beispiel die Überführung des privaten und öffentlichen Eigentums zum Gemeingut), sondern auch um die Form. Wie können wir gemeinschaftlich zusammenleben? Wie können wir direkt an der demokratischen Entscheidungsfindung teilhaben? Wie wird die Multitude zum Souverän des Gemeinschaftlichen? Wie können wir Demokratie neu erfinden und verwirklichen? Die Antworten auf diese Fragen erfordern einen neuen Verfassungsprozess.
    Wenn finanzielle zu sozialen Schulden werden, wenn Singularitäten in Netzwerken kooperieren, und wenn das Bedürfnis nach Sicherheit nicht mehr aus Angst gespeist wird, dann entstehen neue Subjekte, die zu demokratischem Handeln fähig sind. In den bürgerlichen Gesellschaften des Industriezeitalters konnten Körperschaften und Einzelpersonen die Rolle von politischen Akteuren übernehmen. In den postindustriellen, neoliberalen Gesellschaften wurden die Möglichkeiten weiter reduziert und aus Bürgern wurden Vertretene. Heute finden neue politische Subjekte neue Formen der Beteiligung, in denen die Unterscheidung von Körperschaften und Einzelpersonen aufgehoben wird und abstrakte Formen des politischen Handelns konkret werden. Doch um Regeln aufstellen zu können, sind klare Modalitäten erforderlich. Die verfassungsgebenden Kräfte müssen von nun an von unten wirken und ständig erneuert werden.
    »Aber warum sprecht ihr von Verfassungen?«, fragen uns Freunde. »Können wir uns nicht von diesen normativen Zwängen befreien?« Jede Revolution benötigt konstituierende Kräfte – nicht, um die Revolution zu beenden, sondern um sie am Leben zu erhalten, um ihre Errungenschaften zu sichern und um sie für weitere Neuerungen offen zu halten. Verfassungen sind nötig, um die gesellschaftliche Produktion und das Zusammenleben im Einklang mit unseren Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu organisieren. Verfassungsgebende Prozesse dienen als Korrektur der politischen Strukturen und Institutionen, und sorgen dafür, dass diese unserer Gesellschaft und den materiellen Ursachen von sozialen Konflikten, Bedürfnissen und Wünschen besser gerecht werden.
    Um es philosophischer auszudrücken, sind konstituierende Prozesse Dispositive bei der Produktion von Subjekten. »Aber warum müssen wir Subjekte schaffen?«, fragen unsere Freunde. »Warum können wir nicht ganz einfach wir selbst sein?« – Auch wenn es so etwas wie eine ursprüngliche menschliche Natur gäbe, die nur darauf wartet, sich entfalten zu können, gäbe es keinen Grund zu der Annahme, dass

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