Demolition
die in der leeren Pracht eines kristallenen Glases funkelten, das der Erfüllung durchs volle Maß Wein harrt. Behutsam tastete er sich durch die verlassenen Bewußtseinsschichten ihres Geistes zum aufgewühlten Unbewußten vor, verdunkelt von Wolkenbänken grauer Schwaden, die es trübten wie eine weiträumige Dunkelwolke das Firmament. Hinter dem Dunstvorhang befand sich jenes schwache Flackern von Helligkeit, vereinzelt und kindlich, für das er mit der Zeit Sympathie entwickelt hatte. Doch als er sich diesmal in die Weite vortastete, glich der vorherige Funke dem kleinen Sternchen, als das man eine Sonne aus der Ferne sieht, die in Wirklichkeit im glutheißen Tosen einer Nova lodert. »Hallo, Barbara. Anscheinend machst du...« Die Antwort bestand aus einem Ausbruch von Leidenschaft, der ihn zum sofortigen Rückzug zwang. »He, Mary«, rief er. »Komm schnell!«
Mary Noyes eilte aus der Küche herein. »Steckst du wieder in Schwierigkeiten?«
»Noch nicht. Aber vielleicht bald. Unsere Patientin ist auf dem Wege der Besserung.«
»Ich habe keine Veränderung bemerkt.«
»Begleite mich hinein. Sie hat die Verbindung mit ihrem Ego wiederhergestellt. Drunten in der untersten Schicht. Fast hätte ich mir das Hirn versengt.«
»Was darf's sein? Eine Anstandsdame? Jemand, der ihre süßen mädchenhaften Gefühle vor dir beschützt?«
»Machst du Witze? Ich bin's, der Schutz benötigt. Komm her und halte mir die Hände.«
»Du hältst doch mit beiden Pfoten ihre Hände.«
»Ich habe es ja im übertragenen Sinn gemeint.« Voller Unbehagen musterte Powell das puppenhaft ausdruckslose, stille Gesicht, betrachtete die ruhigen, entkrampften Hände, die in seinen Fäusten lagen. »Vorwärts.« Wieder strebte er durch die schwärzen Korridore hinunter zu jener tief eingeschreinten Glut, die in dem Mädchen schwelte... in jedem Menschen schwelt... das zeitlose Reservoir psychischer Energie, ohne Verstand und ohne Reue, und ohne Ende zum Lohen gebracht durch das Trachten nach Befriedigung. Er fühlte, wie Mary Noyes ihm auf mentalen Zehenspitzen folgte. Diesmal bewahrte er sicheren Abstand. »Hallo, Barbara.«
»Hau ab!«
»Hier ist dein guter Geist.« Eine Welle von Haß und Wut schlug ihm entgegen. »Du erinnerst dich an mich?« Die feindselige Aufwallung löste sich in den Turbulenzen des Unbewußten auf und wich einer Woge heißen Verlangens.
»Lincoln, zieh dich lieber zurück. Wenn du dich in diesem Lust/ Schmerz-Chaos verirrst, verlierst du dich für immer.«
»lch suche etwas und muß es finden.«
»Du kannst hier drin nichts finden außer ungezähmter Liebe und ungelindertem Tod.«
»lch will wissen, welches Verhältnis sie zu ihrem Vater hatte. Ich muß wissen, warum er wegen ihr unter Schuldgefühlen litt.«
»Nun gut. Aber ich halte mich fern.« Der Glutofen quoll erneut über. Mary ergriff die Flucht. Powell umkreiste den Rand des feurigen Abgrunds, spürte, forschte, tastete. Er glich einem Elektriker, der die Enden eines zerrissenen Kabels mit aller gebotenen Vorsicht testet, um festzustellen, welches Ende unter Spannung steht. In seiner Nähe brauste ein grelles Wabern. Er fühlte danach, erhielt eine Art von heftigem Schlag und wich aus; ein Gewebe des instinktiven Selbsterhaltungswillens drohte ihn zu ersticken. Er entspannte sich, ließ sich in den Strudel von Assoziationen hinabtreiben und begann sie zu erforschen. Es kostete ihn Mühe, das eigene Bezugssystem zu bewahren, das in diesem Chaos geistiger Gewalt zur Zersetzung neigte. Hier waren die somatischen Beschickungen, die den Feuerofen speisten; Zellreaktionen in schier unfaßlichen Milliardenmengen, organische Laute, dumpfes Summen von Muskelgeräuschen, sensorische Unterströmungen, das Gluckern des Blutkreislaufs, das Wallen unregelmäßiger Überlagerungen durch Blut-pH... all das wirbelte und brodelte in der Gleichgewichtsstruktur, die die Psyche des Mädchens bildete. Das endlose Knüpfen und Entknüpfen der Synapsen trug einen knisternden Gesang von verwickeltem Rhythmus bei. In die wechselhaften Zwischenräume waren bruchstückhafte Bilder, Halbsymbole und Teilbezüge gedrängt... die ionisierten Nuklei von Gedanken. Powell erfaßte einen Teil eines Verschluß-Images, folgte ihm zum Buchstaben P... zur sensorischen Assoziation eines Kusses, dann über eine Querverbindung zum kindlichen Saugreflex für die Brust... zu einer infantilen Erinnerung an... ihre Mutter? Nein. An eine Amme. Die Erinnerung war verkrustet von
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