Demonica: Tödliche Verlockung (German Edition)
mehrere Schubkarren. Du hast ihn schließlich nicht gesehen, als er vor unserer Wohnung ankam. Er hat Todesängste um dich ausgestanden. Ich dachte schon, er platzt gleich, als die Jungs mit dir beschäftigt waren. Und gerade vor einer Minute hab ich gesehen, wie er dich angeschaut hat. Vielleicht will er es nicht zugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber, aber da ist etwas. Lass ihn an dich ran, Sin. Ich weiß, das ist schwer. Mich Eidolon anzuvertrauen war das Schwierigste, was ich je getan habe. Aber ich habe es nicht bereut. Nicht ein Mal. Con ist ein guter Kerl, und deinen Brüdern kannst du ebenfalls vertrauen.«
Gott, immer wieder dieselbe alte Leier. »Ich brauche keinen –«
»Ich weiß. Du brauchst sie nicht.« Taylas Worte trieften vor Sarkasmus. »Du brauchst niemanden. Aber weißt du was? Sie brauchen dich.«
»Warum sagen alle das immer wieder?« Sin knallte ihr Glas mit solcher Wucht auf die Theke, dass das Wasser überallhin spritzte. »Sie sind doch ohne mich bestens klargekommen.«
Es folgte ein langes Schweigen. Dann lächelte Tayla, aber es war ein trauriges Lächeln. »Nein, das sind sie nicht. Ihr kranker, wahnsinniger Bruder, dein Bruder, Roag, hätte ihr Leben beinahe zerstört. Und er hat Shades Schwester gefoltert und umgebracht. Aber auf gewisse Weise hat er Lore und dich zu ihnen geführt. Wenn es ihnen möglich ist, in Roags Taten etwas Positives zu sehen … Lass uns einfach sagen, genau das brauchen sie.« Sie schloss die Augen und holte tief Luft. »Mein Vater war ein Monster. Ich kann das Blut meiner Mom immer noch auf meiner Zunge schmecken, weil die ganze Luft davon erfüllt war. Aber ihm habe ich meine Schwester zu verdanken. Die Tatsache, dass aus den ganzen Gräueltaten, die er mir und meiner Mutter angetan hat, doch auch etwas Gutes erwachsen ist, hat dafür gesorgt, dass ich nicht den Verstand verliere, und mich davon abgehalten, mein Leben in Verbitterung zu vergeuden.«
Sin drehte sich fort. Sie konnte einfach nicht zu viel über das nachdenken, was Tayla gesagt hatte. So viel Tayla und Sin auch gemeinsam hatten, könnten sie gar nicht unterschiedlicher sein – denn Sin hatte ihr Leben mit Verbitterung vergeudet.
Vielleicht hatte Tayla recht. Vielleicht war es an der Zeit, die guten Dinge zu akzeptieren, die in ihrem Leben passiert waren, statt sie immer nur von sich wegzuschieben. Ihre Brüder standen einander nahe, und auch wenn es eine ganze Weile nicht danach ausgesehen hatte, hatten sie am Ende Lore als einen der ihren akzeptiert, als wäre er schon immer ein Teil ihres Lebens gewesen. Vielleicht würde es ihr genauso ergehen.
Ein fremdartiges Gefühl von Sehnsucht durchfuhr sie. Sie hatte seit über hundert Jahren keine Familie, keine richtige Familie mehr gehabt. Andererseits brach ihr schon bei dem bloßen Gedanken der kalte Schweiß aus.
Und dann gab es ja auch noch Con. Sie hatte ihm Dinge anvertraut, die sie noch nie jemandem erzählt hatte. Sie hatte Dinge mit ihm getan, die sie noch nie getan hatte. Ihr wurde heiß, als sie daran dachte. Er hatte sie beschützt, als er sie hätte töten können. Er zwang sie dazu, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, denen sie aus dem Weg ging … und auch wenn das so was von nicht in Ordnung war, hatte sich bisher noch niemand die Mühe gemacht, so weit mit ihr zu gehen. Nicht einmal Lore, der ihr gern nahe sein wollte, aber zu viel Angst hatte, sie wegzustoßen.
Con stieß sie an, und statt fortzulaufen, tat sie genau dasselbe.
»Sin?« Tayla legte ihr die Hand auf die Schulter. »Alles okay bei dir?«
Statt zu antworten, stellte Sin jetzt selbst eine Frage. »Wie genau war das, als du Eidolon an dich herangelassen hast?«
Eine Wolke der Zuneigung hüllte Sin ein wie eine Decke, und schon kam diese seltsame, warme Sehnsucht zurück. »Mir wurde klar, dass ich eine bessere Person bin, wenn ich mit ihm zusammen war. Also habe ich ihm meine dunkelsten Geheimnisse anvertraut. Ich ließ ihn meine schlimmsten Seiten sehen. Und er begehrte mich mehr denn je.«
Sin hatte Con ihre Geheimnisse bereits anvertraut. Er hatte ihre schlimmsten Seiten erlebt.
Und er hatte gesagt, er werde sie nicht verlassen.
Sie drehte sich um und sah Tayla an. Sah die Stufen an, die zu dem Zimmer führten, in dem Con und ihre Brüder versammelt waren. In dem sie sich um sie gekümmert hatten. Ihr das Leben gerettet hatten.
Sie war in einem Haus voller Leute, die für sie da waren. Dieses Wissen machte sie fertig. Haute sie glatt um, als
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