Demonica: Versuchung der Nacht (German Edition)
ist Zeit.
Nein. Stolpernd hielt sie inne, als ihre ausgestreckten Finger das Licht schon beinahe berührten. Von diesem Tag hatte sie geträumt, und jetzt, wo er gekommen war, wäre sie am liebsten davongelaufen. Dies sollte der glücklichste Tag ihres Lebens sein, aber nun war es nicht die Aufforderung, in den Himmel emporzusteigen, sondern der Ruf, sich für ihre Taten zu verantworten. Sie hatte einen Primori verloren und mit einem Dämon geschlafen.
Der Lichtstrom glitt auf sie zu. Sie wich ihm aus, doch er folgte ihr. Sie würde auf gar keinen Fall gehen. Sie hatte gesehen, was mit Rami und Roag passiert war, als ihre Existenz ausgelöscht worden war. Sie waren für immer fort. Und was, wenn sie sogar ein noch schlimmeres Schicksal erwartete? Wenn sie dazu verdammt war, für alle Zeit einsam zu bleiben und Primori zu beschützen?
Und was war mit Lore? Als sie Rami vor all diesen Jahrhunderten verloren hatte, hatte ihr das niemals endende Trauer und Wunden eingebracht, die einfach nicht heilten.
Was sie für Lore fühlte, war tausendmal stärker. Ohne ihn leben zu müssen, würde sie umbringen.
Das Licht näherte sich ihr weiter. Mit einem Aufschrei blitzte sie sich zu ihrem Haus in Italien. Das Licht folgte ihr, durchdrang das Dach und schien mitten in ihr Wohnzimmer. Sie blitzte sich erneut, diesmal auf den Gipfel des Ararat.
Das Licht war dort.
Panik ließ die Ränder ihres Gesichtsfeldes verschwimmen, als sie sich nach Pompeji blitzte. Stonehenge. Die große Mauer in China. Überallhin folgte ihr das Licht. Ein Schluchzen der Verzweiflung entrang sich ihrer Kehle, als sie die Augen zukniff und sich auf den Parkplatz des Underworld General blitzte. Zitternd wie ein nervöser Chihuahua öffnete sie langsam die Augen und drehte sich einmal im Kreis. Kein Licht.
Was durchaus einen Sinn ergab, jetzt, wo sie darüber nachdachte, da die menschlichen Geister ja nur darum im Dämonenkrankenhaus in der Falle saßen, weil das himmlische Licht nicht bis hierher drang.
Das plötzliche Brummen eines Motors klang an diesem unterirdischen Ort wie das Grollen eines Drachen. Ein schwarzer Krankenwagen verließ seinen Standplatz und fuhr auf die entgegengesetzte Wand zu, die wie ein Höllentor zu schimmern begann. Aber natürlich … das musste die Öffnung sein, durch die die Wagen hergelangten.
Und tatsächlich schien es, als ob sich die gesamte Wand in Glas verwandelte und dem Krankenwagen gestattete, durch sie hindurch in die Tiefgarage der Menschen auf der anderen Seite zu fahren. Eine Tiefgarage, in der ein konzentrierter Lichtstrahl wartete. Auf sie wartete.
Das Tor schloss sich wieder und hinterließ nichts als eine solide Wand.
Die Tatsache, dass sie das Licht nicht mehr sehen konnte, tröstete sie keineswegs, da es immer noch da war. Es würde immer da sein. Sie hörte wieder die Worte ihres Vaters.
Lauf nicht weg.
Lore begab sich umgehend ins UG . In der Sekunde, in der er aus dem Höllentor trat, war Eidolon auch schon da. Seinem Schreck und seiner Freude darüber, dass Rade noch am Leben war, folgte augenblicklich die Sorge um seine Gesundheit.
»Verdammt«, flüsterte er, als er das Kind nahm. »Was haben sie ihm nur angetan?«
»Nichts«, sagte Lore. »Ich vermute, sie haben ihn weder gefüttert noch sich sonst irgendwie um ihn gekümmert.«
»Er ist eindeutig unterkühlt.« Eidolon wies eine Schwester an, Shade anzurufen, und eine andere, warme Decken zu holen, während er mit dem Jungen auf dem Arm in einen der Traumaräume eilte, wobei sein Dermoire bereits aufleuchtete. Dort untersuchte Eidolon das Baby genauer, das inzwischen schon wieder etwas Farbe bekommen hatte und sehr viel besser aussah, was für heilende Kräfte auch immer Eidolon benutzt hatte.
»Kann ich irgendetwas tun?« Lore hielt dem Säugling den linken Zeigefinger hin, und Rades winzige Hand schloss sich darum.
»Was du da tust, ist genau richtig.« Eidolon legte dem Kind ganz vorsichtig eine Infusion, und als er damit fertig war, war auch schon ein Pfleger mit Decken da.
Lore half dabei, Rade einzumummeln, und nachdem das Kind endlich wie eine kleine Mumie aussah, setzte er sich mit ihm aufs Bett und drückte Rade an die Brust. Er dachte sich, ein wenig zusätzliche Wärme könne sicher nicht schaden, und Eidolon sagte nichts Gegenteiliges.
»Wird er wieder gesund?«
Eidolon lächelte. »Wenn seine Körpertemperatur erst einmal steigt und er trinkt, sollte es ihm gut gehen. Er ist ein zäher kleiner Bursche.«
Lore
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