Demonica: Versuchung der Nacht (German Edition)
auch. In einer Minute werden die paar Kratzer schon wieder geheilt sein. Beeil dich.«
Sie verstand nicht, aber jetzt war nicht die Zeit für Fragen. Sie rannten, bis sich hinter einer Biegung eine flache, dampfende Ebene vor ihnen ausbreitete.
»Dies ist der Ort der Beschwörung. Man nennt ihn auch Killbox.« Er zeigte auf zwei Säulen aus Schwefel, um die opossumartige, augenlose Geschöpfe wimmelten. »Das sind Wächter. Jeder, der eine Täuschung im Sinn hat, wird von ihnen in Stücke gerissen. Dort ist der Altar. Du musst dein Blut als Opfer darbringen.«
Etwas zimperlich nahm Idess den Dolch auf, der auf einem blutbefleckten flachen Stein lag. Sie setzte sich die Klinge an die Haut, doch er packte ihr Handgelenk.
»Ich würde es selbst tun, wenn ich könnte.«
Sein Blick war intensiv und enthielt ein maskulines Versprechen, das ihr schier die Luft abschnürte und ihr Herz rasen ließ. Und dann, als hätte er nicht soeben geschworen, den Schmerz an ihrer Stelle zu ertragen, wo er doch jeden Grund hatte, ihr alles Schlechte zu wünschen, ließ er sie wieder los und trat zurück: ein stummer Wächter – nichts als Kraft und Muskeln und Selbstvertrauen. Idess war mehr als fähig, auf sich selbst achtzugeben, aber zum ersten Mal, seit Rami sie verlassen hatte, stärkte ihr jemand den Rücken, und das war ein gutes Gefühl. Lore war bereit, sie zu beschützen, selbst wenn er damit Kopf und Kragen riskierte.
Wie sehr er sich doch geirrt hatte, als er behauptet hatte, er sei eine schreckliche Person.
Als sie die Klinge über ihr Handgelenk zog und Blut auf den Stein tropfen ließ, zitterte ihre Hand. Sobald sich eine Pfütze von der Größe einer Kaffeetasse gebildet hatte, blitzte ein kreisförmiges Licht um die Pfütze auf.
»Fertig.« Behutsam übte Lore mit seiner Hand Druck auf den Schnitt aus. »Ich wünschte, ich hätte Eidolons Gabe. Ich wünschte, ich könnte dich heilen.«
»Das wünschte ich auch.« Allerdings sprach sie nicht nur von einem einfachen Schnitt. Ihr Herz und ihre Seele schmerzten, und das einzige Heilmittel für sie war im Himmel zu finden.
Ein feuchtes, schmatzendes Geräusch kündigte eine dunkelhäutige, humanoide Frau an, die jetzt aus dem schmalen Torbogen herausdrang wie Zahnpasta aus der Tube. Idess unterdrückte ein Schaudern und löste sich von Lore. Sie hasste Sheoul, die Gerüche, die Geräusche, die Bewohner. Alles hier war verzerrt und abartig.
Dampf wirbelte um die Füße der Frau, die nun vor Idess stehen blieb. »Geht es um einen einzelnen Mord oder einen Massenmord? Ist das Opfer Mensch oder Dämon? Ein rascher Tod oder ein schmerzvoller?«
Nett. »Nichts von alldem. Ich möchte ein Treffen mit der Gilde.«
Daraufhin klappte erst einmal der Unterkiefer der Dämonin herab, sodass eine gespaltene, graue Zunge zum Vorschein kam. »Entweder machst du Witze, oder du bist wirklich sehr, sehr dumm.«
»Ich möchte ein Treffen mit der Gilde haben.«
»Das ist nicht möglich.«
»Dann ziehst du den Zorn Azagoths auf eure Köpfe herab«, sagte Idess mit einem kurzen Schulterzucken.
Die Haut der Dämonin verfärbte sich aschgrau. Der Name Azagoth wurde unter Dämonen höchstens geflüstert. Wenn ein Name ein Synonym für den Tod war, sprach ihn niemand laut aus. »Du lügst.«
Darauf war Idess vorbereitet. Sie holte tief Luft und rief jedes noch so kleine Fünkchen Wut herbei, das sie je verspürt hatte, ließ sie kondensieren und wachsen, bis sie sich wie eine Champagnerflasche fühlte, die jemand kräftig geschüttelt hatte. Als sich der Druck zu einem unerträglichen Pochen hinter ihren Augen zusammenzog, setzte sie die gesammelte Wut in einer gewaltigen, schmerzhaften Explosion frei.
Überall um sie herum bebte der Boden, als ihre Haut aufplatzte und sich ihre Körpermasse verdoppelte, veränderte und schließlich in einem grellen Lichtstrahl explodierte. Die Dämonin wandte sich tief erschrocken ab, und die Geschöpfe, die den Bogen bewachten, kauerten sich am Boden zusammen. Innerhalb von Sekunden hatte sich Idess in eine skelettartige, geflügelte Gestalt verwandelt, die niemand, weder Mensch noch Dämon, ansehen konnte, ohne an den leibhaftigen Tod zu denken.
Genau genommen war sie eine perfekte Mischung aus Azagoths wahrer Gestalt und einem Engel.
»Du repräsentierst die Gilde, und ich repräsentiere den Tod.« Ihre Stimme war ein dunkles, tiefes Grollen, das in den Felsen zu ihren Seiten tiefe Risse entstehen ließ. »Bring mich zu ihnen.«
Die Frau
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