Demudis
schien, sprach Bruder Dirolf an: »Ihr habt versucht, die Aussage zu beeinflussen. Ihr wolltet, dass er nicht die sechste, sondern die neunte Stunde angeben würde.«
Bruder Dirolf wurde rot und begann zu schwitzen.
Demudis wusste den Grund: »Schwester Gutas Leiche ist von den Barfüßern erst zur Non in die Kapelle des Predigerklosters überführt worden. Vorher hätte Bruder Hermann es nicht wissen können, es sei denn …«
»… er hat die Leiche entdeckt«, ergänzte Bruder Dirolf und räusperte sich. »Er hat uns gebeten, die Magistra zu benachrichtigen, damit er zeitig aufbrechen kann, um … um den Zeugen aufzusuchen. Wir haben seinen Worten vertraut.«
»Heuchler!«, brüllte Demudis. Zu lange war es in ihrem Gedächtnis verschüttet gewesen, dass sie gleich das Gefühl gehabt hatte, an dem Bericht von dem hartherzigen Bruder Dirolf und dem einfältigen Bruder Ruotger sei etwas nicht in Ordnung gewesen. »Ihr habt vor der Magistra und mir eine Posse aufgeführt und behauptet, nicht zu wissen, um wen es sich bei der Toten handelt.«
»Bruder Dirolf!«, sagte der Erzbischof streng.
»Wir haben den Worten des Predigers vertraut«, wiederholte Bruder Dirolf und schaute betreten auf seine Finger.
»Niemand wäre so ein Narr«, murmelte der Erzbischof und schüttelte verständnislos den Kopf, »zur Non zu einer solchen Wanderung aufzubrechen.«
Wenn Bruder Hermann der Mörder war, woran sie nunmehr kaum noch zweifelte, überlegte Demudis, hatte er die Leiche seiner Mutter zwei Tage am Wegesrand liegen lassen und dann erst die Barfüßer zu der besagten Posse verleitet. Sie musste wissen, warum. »Ihr habt es erst so spät in die Wege geleitet, dass sie von Bruder Dirolf gefunden wurde«, sagte sie in fragendem Tone zu Bruder Hermann.
»Ihr stand doch ein christliches Begräbnis zu«, antwortete Bruder Hermann. »Meiner Mutter.«
Er hat immer noch nicht offen bezeugt, ihr Mörder gewesen zu sein, stellte Demudis verdrossen fest. So entschloss sie sich, ihn herauszufordern: »Kann es nicht sein, dass Herr Bruno von Riehl, der Bruder des Verstorbenen und Erbe der Herrschaft, sofern Martin dies nicht zugestanden hätte, die lästige Zeugin beseitigt hat?«
Bruder Wilhelm wurde aufgeregt: »Ja, ja, das erscheint eine treffliche Erklärung der ganzen leidigen Angelegenheit.«
Jeder hatte dazu eine Meinung, und es entstand ein allgemeines Geraune, in welchem fast unterging, dass Bruder Hermann antwortete: »Nein, der war es nicht.«
»Wie hätte Bruder Hermann unter diesen Umständen die Leiche finden sollen? Sie lag an ihrem Fundort jenseits des Eigelsteintores, wenn ich das richtig mitbekommen habe, ungefähr zwei Tage unentdeckt, unentdeckt von allfällig Vorbeikommenden. Für diese war die Leiche demzufolge nicht sichtbar. Kann man dann nicht davon ausgehen, dass es nur der Mörder selbst gewesen sein konnte, der zu ihr führte?«, fragte Bruder Johannes und gebot mit beiden Händen Ruhe. »Alles, was gesagt werden kann, ist, wie mir dünken will, gesagt worden. So unterbreite ich Euch, verehrter Vater und Herr Erzbischof Heinrich, meine Empfehlung: Der Heilige Vater in Avignon soll über die in Frage stehenden, der Ketzerei verdächtigten Sätze von Meister Eckhart entscheiden und ihm Gelegenheit geben, sich vor ihm zu erklären. Einer Anklage wegen unlauterem Lebenswandel oder gar wegen Verschwörung zur Tötung eines Menschen fehlt die Grundlage. Sie wird nicht erhoben. Ihr aber, Heinrich, werdet den Beginen auf ewig Euren Schutz versprechen. Bruder Hermann wird als der Geringste unter uns die schwersten Dienste eines Knechtes erledigen und die Klostermauern, bis dass der Tod ihn erlöst, nicht verlassen, um auf diese Weise seine Schuld zu sühnen. Graf Walram soll seinem Sohn zur Hand gehen, denn das sehe ich als seine Pflicht an. Bruder Dirolf aber sei für sein Lebtag ausgeschlossen vom Amte des Abtes.«
Ein hartes und gerechtes und gleichzeitig mildes Urteil, dachte Demudis, denn die Sünde ist, wie Hechard lehrt, sich selbst die schwerste Strafe. Wen trifft die größte Schuld? Bruder Hermann?
Graf Walram? Gar Schwester Guta selbst? Oder Bruder Paul? Hätte Hechard Schwester Guta als Beichtvater anders beraten und somit ihren Tod verhindern können? Doch dann fiel ihr ein, dass jemand vergessen worden war, der der Wiedergutmachung mehr als alle anderen bedurfte:
»Er soll für Anna sorgen!«, rief Demudis, die sich darüber erboste, dass der Graf es Anna nicht ermöglicht hatte, Martin vom
Weitere Kostenlose Bücher