Den du nicht siehst
Tisch zurückgekommen ist. Wir sind dann wohl noch eine halbe Stunde geblieben. Bis die Bar dichtmachte.«
»Haben Sie bemerkt, dass er gegangen ist?«
»Nein, Frida hat gesagt, er wolle jetzt aufbrechen.«
»Wie war Frida, als Sie sich getrennt haben?«
»Wie immer. Wir haben uns eine gute Nacht gewünscht, und dann ist sie losgeradelt.«
»War sie betrunken?«
»Nicht sehr. Ein bisschen beschwipst waren wir wohl alle.«
Karin beschloss, das Thema zu wechseln.
»Wie hat Frida sich mit ihrem Mann verstanden?«
»Ziemlich gut, glaube ich. Ich habe jedenfalls nie von größeren Problemen gehört. Bestimmt ist keine Beziehung vollkommen. Sie hatten ja auch viel Arbeit mit den Kindern.«
»Nur noch eine Frage. Haben Sie irgendeine Vorstellung, wer Frida etwas hätte antun können?«
»Nein. Nicht die geringste.«
Montag, 18. Juni
Der zweite Mord brachte gewaltige Schlagzeilen. Nachdem die Sendung »Rapport« am Sonntagabend die These, es handele sich möglicherweise um einen Serienmörder, veröffentlicht hatte, zogen selbstverständlich alle anderen Medien nach. Am Montagmorgen wurde sie in den Tageszeitungen ausgiebig weitergeführt. Frida Lindhs Gesicht blickte von den Titelseiten, und die Schlagzeilen schrien: Serienmörder wütet auf Gotland, Frauenmörder im Ferienparadies, Tod im Sommeridyll.
Die Fernsehnachrichten berichteten ausführlich von Gotland. Nachdem die Sache mit den Unterhosen als Beleg für die Serienmörder-These gesendet worden war, gab es in der Nachrichtenredaktion Diskussionen. Letztlich fanden es aber alle richtig, diese Information publik gemacht zu haben. Wenn man Rücksichtnahme auf die Angehörigen gegen das öffentliche Interesse abwägte, dann fiel das allgemeine Recht auf Information doch wohl stärker ins Gewicht. In den Vormittagstalkshows diskutierten Kriminologen, Psychologen und Vertreterinnen von Frauenorganisationen über dieses pikante Detail.
Das Radio reichte in jeder Sendung neue Einschätzungen nach.
Auf Gotland waren die Morde das Hauptgesprächsthema. An Arbeitsplätzen, in Bussen und Geschäften, in Cafés und Restaurants wurde darüber geredet. Die Angst vor dem Mörder breitete sich aus wie ein schleichendes Gift. Viele hatten Frida Lindh gekannt. So eine nette, muntere Frau. Eine Mutter von drei kleinen Kindern. Wer konnte ihr das angetan haben? Auf Gotland geschah nur selten ein Mord, und mit einem Serienmörder hatte es die Insel noch nie zu tun gehabt.
Johan und Emma entschieden sich für ein etwas abseits gelegenes italienisches Restaurant in einer Nebengasse des Stora Torget.
Bevor die Touristensaison wirklich losging, war es hier immer ziemlich leer. Sie wählten einen Tisch ganz hinten im Lokal. Emma fühlte sich schuldig, obwohl doch gar nichts passiert war. Sie hatte Olle nichts von ihrer Verabredung mit Johan erzählt, sondern gelogen und behauptet, eine Freundin treffen zu wollen. Jetzt machte ihr diese Lüge ein schlechtes Gewissen. Sie war Olle gegenüber sonst immer ehrlich gewesen.
Kurz vor ihrem Rendezvous hatte sie noch mit dem Gedanken gespielt, Johan anzurufen und alles abzusagen. Obwohl Emma wusste, dass sie einen gefährlichen Weg einschlug, brachte sie es aber doch nicht über sich. Ihr Interesse an Johan war stärker.
Als sie ihm gegenübersaß, war sie bereits verloren.
Sie bestellten beide Pasta. Der Kellner brachte ihre Getränke. Weißwein und Wasser.
Ein Glas könnte mir gut tun, dachte Emma nervös. Sie nahm sich eine Zigarette und musterte Johan über den Tisch hinweg.
»Ich freu mich, dich wieder zu sehen«, sagte er.
»Wirklich?«
Gegen ihren Willen musste sie einfach ein bisschen lachen.
Er stimmte ein. Sein Lächeln war erschreckend charmant. Johan fixierte sie mit seinen braunen Augen. Sie gab sich alle Mühe, seinen Blick nicht zu lange zu erwidern.
»Wir müssen doch nicht über diese Morde reden. Jedenfalls nicht sofort«, sagte er bittend. »Ich will mehr über dich wissen.«
»Okay.«
Jeder erzählte von sich. Johan war neugierig, auf sie und auf die Kinder. Sein Interesse kam ihr aufrichtig vor.
Emma erkundigte sich nach seiner Arbeit. Warum er Journalist geworden war.
»Auf dem Gymnasium war ich wütend über alles«, sagte er. »Vor allem über soziale Ungerechtigkeit. Die war zum Greifen nah, allein schon in dem Vorort, in dem ich aufgewachsen bin. Die Eisenbahnlinie trennte die Gegend in zwei Teile. Auf der einen Seite lag das Villenviertel für Leute, die Geld hatten.
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