Den du nicht siehst
beziehen. Sie freute sich auf Johans Besuch. Darauf, einen Abend und eine ganze Nacht mit ihm verbringen zu können. Mit ihm abends zusammen zu essen und morgens zu frühstücken.
Ihre Gefühle waren in den vergangenen Tagen wirklich Achterbahn mit ihr gefahren. Im einen Moment wollte sie ihr gewohntes Leben mit Olle fortsetzen, im nächsten war sie bereit, für Johan alles aufzugeben. Natürlich war sie in Johan verliebt, aber was wusste sie eigentlich über ihn?
Sich im Sommer zu verlieben war leicht, und ihre heimlichen Treffen hatten der Sache sicher noch zusätzliche Würze verliehen. Auf Johan lastete keine Verantwortung. Er lebte allein, hatte keine Kinder und konnte nur an sich selbst denken. Natürlich war für ihn alles einfach. Emma musste auf eine Familie Rücksicht nehmen, vor allem auf die Kinder. War sie wirklich bereit, deren Leben auf den Kopf zu stellen, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte? Und wie lange würde diese Liebe überhaupt halten?
Sie schob ihre Gedanken beiseite. Schaltete das Radio ein, hörte ein wenig Musik und ging dann nach oben, um das Bett zu beziehen. Ihr wurde warm, als sie daran dachte, was in dem Bett später passieren würde.
Der Regen prasselte gegen die Scheiben, aber sie musste einfach ein Fenster öffnen, um frische Luft hereinzulassen. Hier oben war das leichter. Das Schlafzimmerfenster blickte auf den Wald und war etwas windgeschützter.
Als sie alles erledigt hatte, kochte sie Kaffee, setzte sich mit einer Zigarette an den Küchentisch und schaute aus dem Fenster.
Eine niedrige Mauer umgab das Haus. Dahinter konnte Emma das Meer sehen, das jetzt vom Wind aufgewühlt war. Der Strand war hier recht schmal, wurde aber breiter, je weiter man hinausging. Ganz am Ende, an der breitesten Stelle, badeten viele Sommergäste unbekleidet. Emma selbst war schon oft nackt ins Meer gerannt und hatte dabei vor Glück geschrien. Und das Rauschen der Wellen übertönt.
Vielleicht schaffen wir das morgen früh noch, dachte sie. Ehe Johan nach Visby zurückfährt. Wenn das Gewitter sich nur verzieht.
Viveka hatte versprochen, am nächsten Tag zum Mittagessen zu kommen. Emma wollte nicht allein sein.
Sie stand auf und schlenderte durch das Haus. Sie hatte ihre Eltern schon lange nicht mehr besucht. Ihr Verhältnis war nicht besonders gut. Es hatte zwischen ihnen immer eine gewisse Distanz gegeben, schon damals, als Emma noch klein war. Sie hatte stets das Gefühl gehabt, etwas leisten zu müssen, um ihre Eltern zufrieden zu stellen: ein schönes Bild zeichnen, eine Klassenarbeit ohne Fehler schreiben oder bei einer Sportveranstaltung brillieren. Die Distanz zwischen ihnen war mit den Jahren nicht geringer geworden und ließ sich schließlich überhaupt nicht mehr überbrücken. Es fiel ihnen schwer, unbefangen miteinander umzugehen. Oft hatte Emma ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Eltern nicht häufig genug anrief oder besuchte. Gleichzeitig fand sie, dass die Eltern als Rentner viel mehr Zeit hatten und sich schließlich auch öfter bei ihr blicken lassen, sich um die Enkelkinder kümmern könnten. Vielleicht Ausflüge ins von Sara und Filip geliebte Pippiland zu unternehmen, wozu Emma und Olle nur selten Zeit hatten. Aber wenn die Eltern schon mal zu Besuch kamen, dann saßen sie wie festgeleimt auf dem Sofa und wollten bedient werden. Dabei kritisierten sie die Unordnung im Haus oder fanden die Haare der Kinder zu lang. Das war anstrengend, aber Emma wusste nicht, wie sie daran etwas ändern sollte. Ihre Eltern konnten keine Kritik vertragen, und wenn Emma, was selten genug vorkam, doch Widerspruch wagte, reagierten sie verärgert. Und am Ende wurde ihr Vater dann immer laut.
Das Wohnzimmer sah aus wie immer. Geblümtes Sofa und ein antiker Tisch von einer der zahllosen Auktionen, die ihre Eltern so gern besuchten. Der offene Kamin war sicher schon lange nicht mehr benutzt worden. Er war peinlich sauber und leer. Zufrieden stellte Emma fest, dass der daneben stehende Korb mit Brennholz gefüllt war.
Die Holztreppe in den ersten Stock knarrte unter Emmas Füßen. Sie ging ins Gästezimmer, das sie und ihre Schwester Julia alsihr Zimmer betrachteten. Sie schliefen immer hier, wenn sie die Eltern besuchten, zwischen all den Dingen, die sie bei ihrem Auszug aus dem Elternhaus zurückgelassen hatten.
Sie setzte sich auf das Bett. Hier roch es noch muffiger, und in der Ecke lagen Wollmäuse.
Das Bücherregal, das eine Wand bedeckte, war voll gestopft. Ihr
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