Den ersten Stein
Verstreichen
der Zeit gezeichnet sind. Ein paar silberne Strähnen in seinem vollen, schwarzen Haar waren der einzige Hinweis darauf, dass
er älter war als ich. Der schwarze Nadelstreifenanzug, der seine schmale Gestalt bekleidete, war gut genug, um darin begraben
zu werden. Iris nannte ihm ihren Namen. Keiner setzte sich.
»Mr Strange«, sagte er so förmlich wie immer. »Ich habe schon genug Gründe, Sie zu töten, aber anscheinend legen Sie Wert
darauf, mir noch mehr zu geben.«
»Ich bin hier, weil ich die Dame begleite und um die Kämpfe zu sehen«, erklärte ich.
Die organisierte Kriminalität war inzwischen so globalisiert wie die ganze Geschäftswelt, und der Korinther war das Endergebnis.
Er gab einem grenzenlosen, weltweiten Schwarzmarkt ein Gesicht. Je nachdem, mit wem man sprach, führteer ein Drogenkartell für die Kolumbianer, verkaufte chinesische Gewehre oder transportierte von der russischen Mafia versklavte
Ostblockfrauen. Er sah nicht einmal griechisch aus.
Der Korinther sah Iris lange mit seinen dunklen, wachsamen Augen an. »Die Dame scheint meine Angestellten zu kennen. Sie ist
mit Sicherheit elegant und charmant. Hätte sie nur den Fehler gemacht, sich mit Ihnen zu verbinden, hätte ich ihr das vielleicht
durchgehen lassen. Doch ihr zweiter Fehler ist eine ungesunde Neugierde. Ich mag es nicht, wenn Leute in meinem Club Fragen
stellen, vor allem nicht über Drogen.«
Ich sah Iris aus den Augenwinkeln an. Hätte ich gewusst, dass sie etwas so Dummes tun würde, wie die Mitarbeiter danach zu
fragen, wo man sich Stoff beschaffen konnte, hätte ich sie ohne ein weiteres Wort aus dem Haus getragen.
»Es ist nicht so, wie Sie denken«, sagte sie. Die Worte trugen ihr einen weiteren Blick ein. Iris kannte sich in der Gegend
aus und hatte zweifellos schon mit verschiedenen Schattierungen der Unterwelt zu tun gehabt, aber sie konnte ihm nicht in
die Augen sehen. Stattdessen flüsterte sie mir etwas ins Ohr, eine schlichte Tatsache, die uns vielleicht das Leben retten
würde.
Die Männer des Korinthers traten vor, doch er hielt sie zurück. »Es ist unhöflich, in Gegenwart anderer zu flüstern.«
»Jemand verkauft in ihrem Club Ecstasy«, sagte ich. Die Zimmertemperatur sank plötzlich um mehrere Grad.
Die neuen Drogengesetze waren praktisch mittelalterlich, wenn es um Straßendrogen ging, die Strafen waren so hart, wie man
es seit den Sechzigern nicht mehr gesehen hatte. Das hatte überwiegend symbolischen Charakter, da der Missbrauch traditioneller
Betäubungsmittel so gering war wie noch nie. Nicht etwa, weil eine Welle der Mäßigung das Land ergriffen hätte; die Leute
töteten den Schmerz des modernenLebens stattdessen mit verschreibungspflichtigen Rauschmitteln ab, und nicht nur, weil die sauberer und zuverlässiger waren
als die Straßendrogen. Für ein Pfund Heroin konnte man lebenslänglich bekommen. Kaufte man dagegen unter falschem Vorwand
einen Vorrat an Schmerzmitteln, betrug die Strafe für das Fälschen eines Rezepts nur ein paar Monate, weit weniger als darauf
stand, illegal generische Herzmedikamente zu importieren.
»Das ist eine sehr schwere Beschuldigung«, erklärte der Korinther.
Ich begegnete seinem Blick und hielt ihn fest. Ich hatte einige Erfahrung auf diesem Gebiet, die ich auf die harte Tour erworben
hatte. »Würde ich lügen?«
Er machte sich nicht die Mühe, die Frage zu beantworten. »Warum haben Sie versucht, illegale Drogen in meiner Bar zu kaufen?«,
fragte er Iris. »Strange hätte Sie warnen sollen, dass ich es übel nehme, wenn man mir etwas anhängen will.«
»Ich suche einen Freund, Marcus Thorpe Junior«, erwiderte Iris. Ihre Stimme war langsam und fest. Sie wusste erst seit gerade
eben, dass es den Korinther gab, aber länger brauchte sie nicht, um zu begreifen, welchen Wert er einem Menschenleben beimaß.
»Ich dachte, sein Dealer wüsste vielleicht, wo er sich aufhält.«
»Und sein Dealer ist hier Stammgast?«
»Er arbeitet hier.« Die Temperatur sank noch einmal. Die Männer des Korinthers sahen einander an und gingen in Gedanken ihr
aktuelles Sündenregister durch. »Der da hat Junior vor drei Wochen in einem dieser Räume eine Tüte mit Tabletten verkauft.«
Sie zeigte auf Carmine.
Für den Bruchteil einer Sekunde stand Angst in seinem Gesicht. Den meisten Menschen wäre es entgangen, aber der Korinther
konnte auch aus dem Augenwinkel feine Spuren von Schwäche und Verrat
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