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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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entschlossen, wieder
     im Präsens von ihm zu sprechen.
    »Vielleicht unterschätzen wir Thorpe«, meinte ich. »Es könnte zu riskant gewesen sein, Junior aus der Stadt zu schaffen, und
     so hat Thorpe ihn irgendwo versteckt. Ob er nun über Bruder Isaiah Bescheid weiß oder nicht, es wäre sinnvoll, den Wunderjungen
     unter Verschluss zu halten.«
    Der Fernseher in der Ecke zeigte schon die ganze Zeit eine Endlosschleife mit Aufnahmen der vor Anker liegendenSchiffe. »Nach Übersee zu gehen ist ein kluger Schachzug der Eltern«, sagte ich. »Die anderen werden auch bald folgen.«
    »Sie überreagieren. Was auch immer es für Unstimmigkeiten gibt, Anwälte werden das klären.«
    »Wir werden sehen«, sagte ich. Das Starlight war jetzt, gegen Ende der Abendessenszeit, noch gerammelt voll. Es waren einige
     Stammgäste da, denen ich zunickte, Angestellte und ein paar Touristen mit großen Kameras und bequemen Schuhen. Zwei Männer,
     die unmittelbar neben der Theke an einem Tisch saßen, weckten mit ihrer Widersprüchlichkeit mein Interesse. Beide waren gut
     genug gekleidet, um als Holy Rollers durchzugehen. Der eine war ein Weißer Mitte zwanzig mit struppigem, schmutzigblondem
     Haar und einem Achttagebart. Der andere war ein etwa gleichaltriger Schwarzer mit kurzem Haar und einem dicken Spitzbart.
     Ihre Gesichter waren vollkommen schlaff, als hätten beide Männer nur eine begrenzte Zahl von Gesichtsausdrücken zur Verfügung
     und wollten sie nicht verschwenden. Beide hatten Augen, die Einzelhaft gesehen hatten. Wenn sie zu Jesus gefunden hatten,
     dann am Ende eines langen, dunklen Weges.
    »Falls Thorpe Junior irgendwo versteckt hat, wäre er nicht so dumm, ihn jetzt zu besuchen. Aber vielleicht habe ich noch eine
     andere Spur.« Ich musste immer wieder an Pykes Worte denken: »Wer nicht tun kann, was der Herr befiehlt, muss weichen.« Pyke
     hatte jemand ganz bestimmten im Sinn gehabt, als er das anmerkte. »Sie sagten, Bruder Isaiah sei nicht allzu begeistert von
     der Idee gewesen, den Tempel zu errichten«, meinte ich. »Hat er Ihnen erzählt, warum?«
    »Die Antwort ist lang und theologisch«, sagte sie.
    »Erzählen Sie mir die kurze Version.«
    »Er hielt es für ein Eingreifen in Gottes Plan und glaubte, es sei stolz und arrogant. Die Aussage der Schrift dazu ist eindeutig:
     Die Juden erbauen den Tempel neu, nicht wir.«
    »Er hat seine Einstellung nie öffentlich gemacht?«
    »Nein.«
    Bruder Isaiahs letzte Predigt, die White mir gegeben hatte, war immer noch auf meinem Handy gespeichert. »Tun Sie mir den
     Gefallen und hören sich das einmal an«, sagte ich und hielt ihr das Handy ans Ohr. Ich trank meinen Kaffee und beobachtete
     ihr Gesicht. Der Klang von Bruder Isaiahs Stimme erinnerte Iris an seine Güte und ließ sie gleichzeitig seinen Verlust empfinden,
     und dieser Konflikt zeichnete sich in ihrem Mienenspiel ab. Sie war den Tränen nahe, sah dabei aber glücklicher aus, als ich
     sie je gesehen hatte.
    »Das habe ich noch nie gehört«, sagte sie, als die Aufnahme zu Ende war.
    »Es ist seine letzte Predigt«, erklärte ich. »Sie wurde bei seiner Leiche gefunden. Gibt es da irgendeine verborgene Bedeutung,
     die ich nicht begreife?«
    »Vielleicht. Hören Sie einmal das hier.« Iris spulte etwa bis zur Hälfte zurück und hielt mir dann den Hörer ans Ohr. »Denn
     wie Christus den Aposteln sagte: ›Von dem Tag aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, sondern
     allein mein Vater.‹ Und doch hat es den Anschein, als würde jeden Tag jemand mit beredter Zunge den Tag der baldigen Wiederkunft
     unseres Herrn verkünden. Diese Männer sagen uns, das Wissen – das selbst den Engeln und Christus vorenthalten blieb – sei
     ihnen in einer Vision offenbart worden oder wäre in einem Geheimcode in der Bibel verborgen. Sie sind Lügner, ja, aber sie
     machen sich einer noch größeren Sünde schuldig: des Stolzes. Als der vom Schicksal geschlagene Hiob Gottes Plan in Frage stellte,
     antwortete unser Herr ihm aus dem Wirbelwind: ›Kann, wer mit dem Allmächtigen streitet, ihm etwas vorschreiben?‹«
    »Arroganz und Stolz, das habe ich kapiert«, meinte ich.
    »Aber es ist eine besondere Art von Stolz«, erklärte Iris.»Bruder Isaiah hat seine Gemeinde oft vor falschen Propheten gewarnt. Da draußen gibt es mehr als genug Gauner, die mit einer
     Verkaufsmasche versuchen, den Gläubigen ihr Geld abzuluchsen. Aber ich habe nie gehört, dass er solche

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