Den lass ich gleich an
hatte mittlerweile das zweite Glas Champagner geleert. Heute bist du dran. Nur du. So übel ist dieser Mike gar nicht. Widerspruchslos ließ sie sich ein weiteres Glas Champagner eingießen.
»… und ich finde, wir sollten das förmliche Sie weglassen«, hörte sie wie durch einen Nebel hindurch Mikes Stimme.
Sie hoben ihre Gläser, prosteten sich zu, und Mike beugte sich vor, um Lulu ein Küsschen auf die Wange zu hauchen. Wieder war die Berührung wie ein Stromschlag, den Lulu bis in die Fingerspitzen spürte. Und das Beste war: Ihr Handy blieb stumm. Na bitte, Gill hat alles im Griff, atmete sie auf. Vielleicht ist dieser Abend ja der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Großmutter und Enkelin. Langsam, ganz langsam schaltete sie einen Gang zurück und fing an, den Abend zu genießen.
Das Essen war erlesen: Trüffel-Tagliatelle, Loup de mer, Rohmilchkäse mit Feigensenf. Das Tiramisu löffelten siegemeinsam von einem Teller. Ah, so schmeckte es also, das süße Leben.
Mike rückte näher an sie heran. Lulu wehrte sich nicht. Sie hatte schon viel zu lange gewartet. Und bestimmt war sie zu wählerisch gewesen. Acht männerlose Jahre, ein paar Pausenclowns nicht mitgerechnet, das war eine lange Zeit.
Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Besteck. Ahnte eigentlich irgendwer, wie es ihr wirklich ging? Immer allein, immer unter Termindruck? Als alleinerziehende Mutter hatte sie sich einen Hammerjob ausgesucht. Es wurde Zeit, dass sie sich an eine starke Schulter anlehnen konnte. Mike hatte seine Macken, aber welcher Mann hatte die nicht?
Greif zu!, flüsterte eine zarte Stimme in ihr. Pass bloß auf!, antwortete eine zweite, strenge Stimme. Mach dich nicht billig. So verzweifelt bist du nun auch wieder nicht.
Allerdings war nicht zu leugnen, dass eine gewisse Anziehungskraft von Mike ausging. Er lächelte von einem Ohr zum anderen und strich von Zeit zu Zeit über ihre Hand. Welche Frau konnte sich da schon entziehen?
Was er erzählte, von irgendwelchen Strategien und Kampagnen, bekam sie ab dem dritten Glas Champagner gar nicht mehr richtig mit. Es war nur die Hintergrundmusik für den Film, der in ihrem Kopf lief: Hand in Hand mit Mike im Regen durch den Park laufen, eng umschlungen mit ihm tanzen, ihn küssen, mit ihm … oha, Lulu stellte fest, dass nicht sie am Tisch saß, sondern zweiundsiebzig Kilo Östrogen.
Als Mike schließlich die Rechnung verlangte, entstand eine verlegene Pause. Und jetzt? Nie am ersten Abend, lautete die Regel. Hinhalten und langsam kommen lassen. Auf keinen Fall wollte Lulu einen One-Night-Stand riskieren, und schon gar nicht mit dieser fleischfarbenen Wurstpelle unter der Jeans.
Sie würde ein Taxi besteigen und warten, ob Mike sich zu einem zweiten Date durchrang. Kluge Frauen machten das so, hatte sie mal gelesen.
»Danke, dass du mir deine Zeit geschenkt hast«, überbrückte Mike das peinliche Schweigen. »Ich denke, wir werden ein großartiges Team. Über die Details reden wir noch.«
Ja, das könnte durchaus was werden mit ihm, überlegte Lulu. Doch jetzt hieß es, einen eleganten Abflug hinzubekommen.
Sie räusperte sich. »Danke für das tolle Essen, Mike. Es war wahnsinnig schön. Bist du so lieb und bringst mich zum Taxistand?«
»Aber sicher doch.«
Er schien nicht im mindesten enttäuscht zu sein. Mike hatte eben Stil. Erleichtert packte Lulu ihr Handy ein. Wahrscheinlich schlief Lotte seit Stunden. Wie spät war es eigentlich? Viertel nach zwölf! Höchste Zeit für Gills Schönheitsschlaf.
Als sie aufstand, schwankte sie leicht. Ihre Zehen krampften sich um die Toilettenpapierknödel in den Pumps, während sie ein paar Trippelschritte probierte. Holla. So ein Champagnerschwips auf High Heels war Extremsport dergefährlichsten Sorte. Mindestens so gefährlich wie Hochgebirgsklettern auf Ecstasy.
Sofort trat Mike an ihre Seite. Fürsorglich legte er einen Arm um Lulu und lotste sie durch das Lokal auf die Straße. Was für ein gutes Gefühl, diesen starken Männerarm zu spüren. Lulu fühlte sich so – beschützt. Das war ebenso ungewohnt wie angenehm nach all den männerlosen Jahren. Danke, liebes Schicksal. Besten Dank auch. Du weißt eben, was du tust.
Draußen jagte ihr die kalte Nachtluft einen Schauer über den Rücken, aber das rettende Taxi wartete schon an der nächsten Ecke. Alles war gut. Spätestens in einer halben Stunde würde sie zu Lotte ins Bett kriechen, zu ihrem geliebten Lottchen.
»Telefonieren wir?«, fragte sie.
»Das
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