Den lass ich gleich an
an ihre kleine Tochter, die tief und regelmäßig atmete. Mein Kind, mein über alles geliebtes Kind, war ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief.
Als Lulu erwachte, stellte sie fest, dass ein ungewohntes Geräusch sie geweckt hatte. Etwas prasselte an die Fensterscheibe. Es klang wie Regen. Hier? Auf der Sonneninsel?
Sie ging zum Fenster und zog die Gardine beiseite. Draußen stürmte es, die Palmen bogen sich unter Regenböen. Dicke, tiefschwarze Wolken zogen über den Himmel, verlassen lag der Strand da. Die Sonnenschirme waren zusammengeklappt, kein Mensch war zu sehen.
Glück im Unglück, dachte Lulu. Der Fototermin findet drinnen statt, in einem Weinkeller. Außerdem passte der Regen zu ihrer melancholischen Stimmung.
Warum ist Alex mit Rosita weggelaufen?, fragte sie sich nun schon zum hundertsten Mal. Warum? Fast tat es ihr wieder leid, dass sie die Visitenkarte zerfetzt hatte. Eine fiese SMS hätte ihre Laune bestimmt gehoben.
Ich hoffe, du hattest eine heiße Nacht mit dem Stern des Südens. Bin gerade neben dem Hawaiihemd aufgewacht. War Granate, der Junge.
Doch sie besaß seine Nummer nicht, und die Reste der Visitenkarte hatte der Sturm längst ins Meer gespült.
Mit den Augen suchte sie den ausgestorbenen Strand ab. Ob Alex tatsächlich dort wartete? Schöne Vorstellung. Alex frierend und durchnässt, mit einer beginnenden Grippe, die ihn hinwegraffen würde.
Sie nahm sich ein Mineralwasser aus der Minibar und trank es in kleinen Schlucken. In der Nacht hatte sie Alpträume gehabt, von Alex, wie er mit Rosita tanzte, während Gill und Fusselbart sie mit Blumen bewarfen.
Hilfe, ich bekomme einen Stiefvater!, durchzuckte es Lulu. Hoffentlich muss ich ihn nicht Heinz-Herbert nennen.
»Mama?«
Lotte kam angelaufen und betrachtete die kleinen Tropfen, die am Fenster herabrannen wie tausend Tränen. »Wieso regnet es hier?«
»Weil die Pflanzen auch auf einer Insel Wasser brauchen. Sonst vertrocknen sie.« Eine sehr pädagogische Erklärung, immerhin.
»Ich will aber schwimmen. Geht das auch im Regen?«
»Die Mädchen im Juniorclub haben bestimmt ein Ersatzprogramm für Regentage. Komm mal her, wir kuscheln noch ein bisschen.«
Sie gingen zurück ins Bett und deckten sich wieder zu.
»Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie lieb ich dich habe?«, fragte Lulu und drehte Lottes Locken um ihre Finger.
»Noch nie-ie!«, beteuerte Lotte.
Es folgte eine wilde Kissenschlacht. Munition gab es genug. Die vielen pastellfarbenen Kissen flogen in hohem Bogen durch die Luft wie Geschosse. Erst als Lulu sich unter der Bettdecke verschanzte und um Gnade bettelte, ließ Lotte locker. Kichernd kroch sie zu Lulu unter die Decke.
Wie ein fernes Echo hörte Lulu Sabrinas Stimme: »Du hast wenigstens Lotte. Ich habe gar nichts, wenn ich alt und grau bin.«
Seltsam, dass ich noch nie ein Exemplar aus Sabrinas tollem Männerharem kennengelernt habe, überlegte Lulu. Vielleicht ist sie einsamer, als ich dachte. Vielleicht ist es nicht nur Fusselbart, der seine Mitmenschen nach Strich und Faden beschwindelt.
Kapitel 14
Nicht mein Tag, dachte Lulu, als sie pünktlich um elf Uhr in die Limousine stieg. Philipp hatte verschlafen, das erste Mal, seit sie zusammenarbeiteten. Ein ganz schlechtes Omen. Er würde mit dem Taxi nachkommen. Sabrina hatte sich mit Migräne entschuldigt. Lulu fühlte sich sehr allein in dem geräumigen Luxusschlitten.
Während der Wagen losfuhr, kamen ihr die Ereignisse der Nacht wieder in den Sinn. Sie musste unwillkürlich lächeln. Ihre eigene Mutter überholte sie auf dem Highway der Herzen. War einfach durchgestartet und lässig an Lulu vorbeigezogen. Sie gönnte Gill diese Liebe. Schließlich liebte sie ihre Mutter und wünschte ihr alles Glück der Erde. Andererseits war dieser Heiratsantrag ziemlich überstürzt gekommen. Was, wenn es unangenehme Entdeckungen geben würde? Oder machte sie sich zu viele Gedanken?
Traurig sah Lulu aus dem Fenster. Alles wirkte grau und freudlos an diesem Morgen, als hätte jemand die Farbe von der Landschaft abgewischt. Wenigstens gab ihr der Regen einen Vorwand, schleunigst abzureisen. Sonst hätte Lotte nie wieder mit ihr gesprochen. Philipp hatte im Internet Flüge ergattert und gleich gebucht. Schon morgen würde sie die Insel verlassen und Alex nie wiedersehen.
Die Limousine nahm einen anderen Weg als sonst. Es ging in die Berge. Bald fuhren sie über beängstigend enge Passstraßen, neben denen sich tiefe Schluchten auftaten. Winzige,
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