Den letzten Abschied selbst gestalten
»die Kirche versteht etwas von Sterbebegleitung, Tod und Trauerbegleitung«. Dass man uns diese Kompetenz auch in kirchenfernen Kreisen zutraut, ist ein hohes Gut. Ich würde sagen: Vertrauen durch Erproben. Wichtig aber wird immer die Frage sein: Hätte der Tote dies auch gewollt oder steht eine zu Lebzeiten geäußerte Meinung dagegen, und habe ich die Möglichkeit, das Verhältnis des Verstorbenen zur Kirche offen anzusprechen?
Wie sieht es bei den Protestanten aus? Werden die Verstorbe-nen namentlich angesprochen und ihr Leben gewürdigt?
Das ist oft gar nicht so einfach, wenn wir den Menschen selbst nicht kannten. Es sollte aber keine Ansprache ohne eine deutliche Erkennbarkeit, wer dieser Mensch war, geben. Ich selbst habe als Pfarrer nie einfach die Darstellung des Lebens gepflegt oder einen Lebenslauf übernommen. Stattdessen habe ich im Gespräch mit den Angehörigen immer nach etwas gesucht, was nur auf diesen Menschen passt, zwei, drei Dinge, die mir charakteristisch für dieses Leben schienen. Aber auch da kommen oft Zweifel. Schöne ich da etwas, habe ich nur etwas aufgeschnappt, sind die Angehörigen ehrlich oder war die Information ganz berechnend? In jedem Fall muss ich mir eine gute Stunde Zeit nehmen, wenn ich die trauernde Familie besuche, um mir ein Bild von dem Verstorbenen machen zu können.
Der Praktiker: Steffen Welz, Pfarrer der evangelischen Sankt Matthäus-Kirche, München
»Unsere Pfarrei ist ausschließlich für den Sprengel hier mitten in der Münchner Innenstadt zuständig. Das sind 4000 Seelen, wie die Kirche sagt, aber es gibt nur 30 bis 40 Bestattungen im Jahr. Das ist verhältnismäßig wenig für so ein großes Gebiet, aber hier sind sehr viele Geschäfte, Unternehmen, Kliniken oder Gasthäuser und wenig Wohnungen. Kürzlich bekam ich einen Anruf aus einem anderen Stadtteil. Eine ältere Frau sei gestorben und habe verfügt, sie wolle ausdrücklich von mir beerdigt werden. Das habe sie vor zehn Jahren mit mir vereinbart. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, aber versprochen ist versprochen.
Wenn ich vom Tod eines Kirchenmitglieds erfahre, gehe ich – genau wie in ihrem Fall – immer bei den Angehörigen vorbei, um mehr über den verstorbenen Menschen zu erfahren, den ich ja oft gar nicht gekannt habe. Häufig sind die Angehörigen unter Schock und können sich nur schwer auf ein Gespräch einlassen. Aber wenn wir uns in ihrer vertrauten Umgebung treffen, haben sie wenigstens einen Heimvorteil. Ich treffe so gut wie nie auf den Toten selbst, der ist meist schon in den Kühlräumen des Friedhofs oder Krematoriums. Es war ganz ungewöhnlich, als neulich einmal eine Frau zu mir sagte, ›möchten Sie vielleicht mit nach nebenan kommen, meinen toten Mann sehen?‹. Oft werden mir aber Fotos des Toten gezeigt oder ein Lebenslauf. Ich versuche dann, etwas Konkretes zu erfahren. Was für ein Mensch war es? Was hat er gemocht, mit was hat er sich beschäftigt, was waren seine Schwächen? Hatte er oder sie Angst vor dem Tod? Ist darüber gesprochen worden?
Manche Leute haben zu Lebzeiten alles minuziös geplant, haben den gesamten Ablauf der Beerdigung bis hin zur Mu-sik festgelegt. Bei etwa einem Drittel aber stellt sich heraus, dass – oft sogar bei schwerer Krankheit – niemals über den Tod und die Vorstellungen zum Begräbnis gesprochen worden ist. Ich bin immer wieder erstaunt, wie stark viele Menschen den Tod verdrängen. Die meisten sagen mir, ich möchte mal ganz schnell, einfach so im Bett sterben. Aber das ist nicht die Rea-lität. 90 Prozent der Menschen sterben einen schweren Tod.
Manche sind unsicher im Umgang mit der Kirche. ›Wissen Sie, mein Mann war kein großer Kirchgänger‹, sagen sie dann und sind erleichtert, wenn ich sie beruhige. Einer sagte mal zu mir: ›Ich glaub’ zwar nicht an die Auferstehung der Toten, aber erwähnen Sie es doch mal besser bei der Beerdigung!‹ Das hat mir gefallen, diese vorsichtige Rückversicherung. Ich sage den Menschen dann, dass auch ich es nicht beweisen kann, ob es weitergeht.
Meine traurigste Beerdigung hatte ich kürzlich, als ich vergebens versuchte, Angehörige zu erreichen und auch unter der letzten Adresse niemanden vorfand. Nicht einmal einen Nachbarn konnte ich sprechen. Tatsächlich kam dann auch niemand zur Beerdigung. Nur der Mesner mit dem Kreuz, die Sargträger mit dem Sarg und ich waren da. Da blieben mir nur ein Vaterunser und der Sterbesegen. Das muss ein sehr einsamer Mensch gewesen sein. Dass auch
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