Den letzten Abschied selbst gestalten
mal zehn Metern begraben liegt. Ich habe viele Menschen getroffen, die eine völlig anonyme Bestattung später bereut haben.« So habe er überlegt, wie man dies in seiner Diözese ändern könne und hat nach einer neuen Begräbniskultur und entsprechenden Orten des Abschieds gesucht.
Da passte es gut, dass die Diözese eine von drei großen Kirchen »praktisch übrig hatte«. Die Allerheiligenkirche mitten in der Erfurter Altstadt musste allerdings erst einmal für 1,2 Millionen Euro renoviert werden. Geld, das nicht da war. Reinhard Hauke rechnete wirtschaftlich und dachte christlich: »Die Inschriften auf dem Boden der Kirche verraten, dass es hier schon früher einen Bestattungsraum gegeben hat. So kamen wir auf die Idee, hier ein Kolumbarium zu errichten.« Das Revolutionäre daran ist, dass hier Katholiken ebenso wie Andersgläubige oder Nichtgläubige bestattet werden können. Einzige Voraussetzung ist, dass bei der Bestattungsfeier die christliche Gestaltung der Kirche nicht verändert werden darf. Dafür aber gibt es unterschiedliche Formen des Abschieds. Nichtchristen bekommen etwa andere Handzettel mit weltlichen Liedern und Texten, Glockengeläut aber schon, wenn sie möchten. »Die Idee war ein voller Erfolg«, freut sich Bischof Hauke. »Innerhalb von acht Wochen waren alle 630 Urnenplätze verkauft, davon 20 Prozent an Nichtchristen. Der jüngste Käufer ist 1971 geboren.« Ein Trend dabei ist die »Familienzusammenführung« – Urnen der Freundin oder des Opas werden von Familien vom Friedhof oder aus anderen Städten überführt und im Kolumbarium zu den anderen Urnen aus der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis gestellt. Zusätzlich kommen Anfragen von Angehörigen, die gern die Familien oder Freunde des Toten aus der Nachbarurne kennenlernen möchten. »Wer ist neben dem Platz meines Vaters oder auch neben dem für mich reservierten eigentlich bestattet?«, fragen die Leute. Weihbischof Hauke kann sich vorstellen, zum Beispiel »alle 42 Besitzer eines Urnenplatzes von Säule 15« zu einem Vortrag einzuladen und ihnen damit die Gelegenheit zu bieten, sich kennenzulernen.
Zur Zeit experimentiert die Kirchengemeinde noch mit dem richtigen Maß zwischen der Einhaltung der Totenruhe und dem Wunsch nach öffentlichem Zugang zu der neuen »Friedhofs-Kirche«, die von den Geschäftsleuten in der Fußgängerzone übrigens vorbehaltlos angenommen wurde. Die Besitzer eines Platzes im Kolumbarium können diesen abgegrenzten Urnenbereich jederzeit mit einem Chip passieren, die übrige Kirche ist stundenweise geöffnet. Großen Zulauf gibt es beim mo-natlichen Totengedenken, einer anderen innovativen Idee des Weihbischofs. Es ist eine Feier für alle, deren Toten anonym oder weit entfernt begraben wurden. Wieder sind ausdrücklich auch Nichtchristen eingeladen, den Namen ihres Verstorbenen während eines besonderen Rituals mit Kerzenprozession und Weihrauch in ein großes, repräsentatives Buch einzutragen. »Wenn der Name nicht auf einem Stein eingemeißelt ist, schreiben wir ihn eben in ein Buch«, meint Hauke pragmatisch.
Als Trendsetter möchte sich der Weihbischof nicht sehen, wohl aber als jemand, der ungewöhnliche Wege beschreitet und dann sagt, »seht mal, es geht«. Entscheidend dafür ist, dass sein katholischer Dienstherr Bischof Dr. Joachim Wanke ihm dafür den Rücken freihält. »Er sagte einfach zu mir: ›Probieren wir es aus.‹«
Der Vordenker (evangelisch): Dr. Hermann Barth, Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Hannover
Von Ihnen gibt es ein Diskussionspapier über die Herausforderungen evangelischer Bestattungskultur. Was ist die Kernaussage?
Dass wir eine deutliche Qualitätsverbesserung brauchen. Lange Zeit waren die Angebote einzelner Personen oder Institutionen rund um eine Bestattung so bescheiden, dass die christlichen Kirchen es mit ihren Traditionen noch leicht hatten. In den letzten 25 Jahren aber hat sich so viel getan, dass wir unsere Rolle auf diesem Gebiet deutlich überdenken und ausbauen müssen. Alles ist in Bewegung geraten. Freie Theologen sind sehr kreativ in dem, was sie den Trauernden anbieten, Bestatter überzeugen mit einer Fülle von Dienstleistungen. Da ist ein richtiger Wettbewerb entstanden. Damit sind wir ungeheuer gefordert, es bieten sich auch ungeahnte Chancen.
Die Kirche soll also flexibler werden?
Wenn die Menschen mehr Mitsprache an der Bestattungsfeier haben wollen, ist das nicht nur Ausdruck einer Überindividualisierung,
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