Den letzten beissen die WerWölfe
Volk. Meine Mutter kannte früher jeden Vater eines unehelichen Kindes, noch vor der Geburt, selbst wenn darüber nicht gesprochen wurde.«
Das Bild, das von der anonymen Blutspender-Mutter das vor Nusseleins geistigem Auge erschien, kann nicht unbedingt als positiv bezeichnet werden.
»Und was hat der Rumbach beruflich gemacht?«, forschte Nusselein nach.
»Der war ja steinalt, die letzten Jahre nichts mehr, sagt meine Mutter. Während des Krieges muss der wohl sehr mutig gegen die Nazis gewesen sein, war sogar mal ein paar Wochen eingesperrt. Nach der Zeit als Bürgermeister hatte der wohl kleinere Geschäfte in Roetgen und Rott – so Kolonialwarenläden, sagt meine Mutter.«
»Kolonialwarenladen«, jubelte Nusselein innerlich, »dieses Wort habe ich auch seit vierzig Jahren nicht mehr gehört.«
Da der Wissensstand des anonymen Blutspenders offensichtlich geplündert war, bezahlte Nusselein dann doch die Biere, nachdem er seinem inneren Zechpreller-Schweinehund »Platz« zugerufen hatte.
Dann verabschiedete er sich.
Eine halbe Stunde später erreichte er seinen Wohnwagen in Ruitzhof. Während der Fahrt summte er das schottische Lied »Lomond«, das ein zum Tode Verurteilter auf dem Weg zum Schafott gesungen haben soll. Warum Nusselein dies allerdings auf dem Weg nach Kalterherberg tat, entzieht sich unserer Kenntniss.
»But me and my true love will never meet again
on the bonnie bonnie banks o’ Loch Lomon’.«
Incitatus scharrte im Wohnwagen bereits vor seinem Katzenschüsselchen mit den Hufen …
***
20.35 Uhr
Gottfried Zimmermann war alleine in der Wohnung über dem »Schwarzen Krug«. Er blätterte noch einmal in seinem »Moleskine«, dem legendären Notizbuch, das Helga ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Im Hintergrund lief im stumm geschalteten Fernseher eine Sendung, bei der ein Farbiger, eine Blonde und ein älterer Herr, in dessen Gesicht sich ein Steinbruch, das Waldsterben und die Klimakatastrophe widerspiegelten, nicht gerade intelligent in eine Kamera glotzten.
Zimmermann wählte Nusselein Handynummer und ließ erst gar keinen dummen Spruch zu:
»Hast du was Neues?«
Nusselein berichtete von seinem Gespräch mit dem anonymen Blutspender im Roetgener »JWD«, der in seiner Darstellung allerdings aus »drei oder vier Mann« bestand. Als er seine Ausmalungen beendet hatte, nickte der Kommissar nur:
»Interessant! Der Rumbach war also Bürgermeister unter den Amis, kein Nazi, sogar eingesperrt. Dann könnten die rechten Schmierereien doch einen Sinn machen.«
»Ich bitte dich, euer Merkwürden, Herr Kommissar«, warf Nusselein ein, »das ist doch schon fast zwei Leben her. Aber, zugegeben, unsere einzige Spur.«
»Den Satz habe ich heute schon mehrmals gehört«, stöhnte Zimmermann und beendete das Gespräch. Da der Farbige im Fernsehen gerade auf einem Stuhl tanzte, schaltete er das Gerät aus.
***
22.15 Uhr
Nusselein hatte sich seinen Schottenrock angezogen, einen Balmoral übergestülpt und blies auf einem Billig-Dudelsack mit dem klangvollen Namen »Highland Bag Pipe« undefinierbare Töne, während im Hintergrund von seinem Plattenspieler »Amazing Grace« den Raum, die Erde und Ruitzhof beschallte. Weit entfernt wohnende Nachbarn schlugen die Fenster zu, Incitatus rettete sich unter das Plumeau. Da in Ruitzhof ein erbitterter Nachbarschaftsstreit über die Haltung von Angus-Rindern tobte, war der einsame Dudelsackspieler sicher, dass sich keiner über ihn beschweren würde und legte noch eine Strophe drauf:
»The earth shall soon dissolve like snow,
The sun forbear to shine;
But God, who call’d me here below,
Will be forever mine.«
– allerdings in einer eher instrumentalen Version, da Singen und gleichzeitig in den Dudelsack pusten auch für Charly Nusselein unüberbrückbare Probleme waren.
Nach dieser Zugabe verneigte sich der einsame Bläser am Venn gen Schottland (also Eupen), warf die Kleidung in die Ecke, zog sich ein Nachthemd an und kroch zu seinem Kater ins Bett. Laut sagte er:
»Gute Nacht Incitatus! Gute Nacht Mama! Gute Nacht Daddy! Gute Nacht John-Boy! Gute Nacht Mary Ellen! Gute Nacht alle miteinander …«
Ein einsamer Spaziergänger, der seinen Hund gerade in Nusseleins Ausfahrt kacken ließ, sah, dass die Lichter im Wohnwagen ausgingen.
***
Zweiter Tag – Mittwoch, 5. Februar
01.35 Uhr
Nusselein wälzte sich in seinem Bett und belästigte dadurch mehrmals den am Fußende schlafenden Incitatus. In seinem Traum führte die
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