Den letzten beißt das Schwein
zum ersten Mal. Ein mit dem Lineal gezogener Scheitel teilte das blonde Haar exakt in der Schädelmitte. Er trug ein blaues Hemd unter einem braunen Pullunder. Am Auffälligsten fand ich die blauen Fischaugen, die ihn kalt wirken ließen. Aber oft täuschte der erste Eindruck.
»Man soll ja über Tote nichts Schlechtes sagen«, meinte der Niederländer, »aber er hat sein Leben verzockt. Jeder weiß doch, dass er mehr Schulden hatte als Schäuble. Die Pferdchen sind einfach nicht so gelaufen, wie er wollte. Wer weiß schon, was für Typen er da verärgert hat.«
Sofort erschien das Bild vor meinem inneren Auge, wie Hauser mit dem Typen in der Spielhalle gestritten hatte.
»Quatsch«, fuhr Günter ihm über den Mund. »Gregor war ein guter Junge, fleißig und zuverlässig. Und die Tiere haben ihn geliebt. Auf den lasse ich nichts kommen. Ein schwerer menschlicher Verlust, von seiner Bedeutung für den Hof ganz zu schweigen.«
Reichert lauschte aufmerksam, schwieg aber.
»Ich mochte Gregor auch, er war fast wie ein Bruder für mich«, schaltete Jürgen sich ein und wischte mit einer energischen Handbewegung die Haare aus dem Gesicht. »Hat mir das eine oder andere Mal beim Instrumentenschleppen geholfen, was ja nicht jeder macht.« Er blickte abfällig zu Johannes hinüber.
»Ich knechte den ganzen Tag, während du abends die Puppen tanzen lässt«, entgegnete dieser. »Dass ihr euch gut verstanden habt, ist kein Wunder, denn Gregor hat sich auch nicht kaputtmalocht.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich höre mir dieses heuchlerische Geschwafel nicht länger an. Ich arbeite. Wie immer!« Er sprang auf und entschwand. Reichert zog interessiert eine Augenbraue hoch, die anderen kannten Johannes’ Sprüche zur Genüge und reagierten nicht.
»Jedenfalls hat Gregor mir neulich beim Bierchenschlabbern erzählt, dass er finanzielle Probleme hat«, fuhr Jürgen fort. »Vielleicht hängt sein Tod damit zusammen.«
Klang logisch, aber so richtig passte das alles nicht. Warum sollte ein verärgerter Buchmacher einen Anschlag auf Günter verüben oder Kaninchen ermorden? Ich musste dringend Mister Ice meine Aufwartung machen.
»Durchaus interessant«, sagte Reichert. »Natürlich werde ich auch in diese Richtung ermitteln. Seien Sie sicher, dass der Täter so gut wie gefasst ist. Der Exschnüffler wird mir ja nicht mehr dazwischenfunken.«
Reichert zwirbelte seinen Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Schnäuzer, der aber dank stabiler Bartwichse keinen Millimeter außer Form geriet. »Können wir unter vier Augen sprechen, Nannen?«
Ich nickte und folgte.
In der Eingangshalle ließ Reichert sich auf einen antiken, mit filigranen Schnitzereien geschmückten Stuhl fallen, der eigentlich nur zur Zierde diente. Sofort knackte es verdächtig.
»Etwas instabil.« Er sprang auf und lachte verlegen. »Wie Sie wahrscheinlich wissen, stehe ich in engem Kontakt zu Ihrer Mutter. Reizende Dame. Wir haben uns beim Musikschulkonzert in Billerbeck kennengelernt. Sie hat völlig zu Recht angemerkt, dass sich unsere Gegend im kulturellen Dornröschenschlafbefindet. Welcher Weitblick. Einfach klasse, wie viel Stil und wie attraktiv... Wollen wir die alten Animositäten nicht begraben? Schließlich bin ich ja bald Teil der Familie.«
Ich fragte mich, ob er über dieselbe Frau redete, die ich als Mutter kannte. Na, es konnte nicht schaden, Reichert auf meiner Seite zu haben. Er war zwar sympathisch wie eine blutende Hämorrhoide, aber das qualifizierte ihn zum Idealpartner für Isolde.
»Warum nicht. Ich heiße D—«
»Das haben Sie sich gedacht!« Der Polizist lachte hämisch. »Wir und Freunde? Das können Sie sich von der Backe putzen. Isolde hat mir erzählt, was für ein Nichtsnutz Sie sind. Jahrelang nicht bei der liebevollen Mutter gemeldet, und jetzt soll sie Ihnen den Haushalt machen.«
»Moment.« Ich wollte die Situation ins rechte Licht rücken, aber vergeblich.
»Sagen Sie nichts. Ihre Mutter ist sehr enttäuscht, Ihr Vater auch, wie er mir am Telefon versichert hat. Passen Sie bloß auf, dass Sie mit Ihrem Oldtimer nicht zu schnell fahren oder eine Zigarettenschachtel in die Botanik werfen.« Er war bestens informiert. »Denn dann sind Sie dran. Ich habe zwar nie viel von Ihnen gehalten, aber selbst das haben Sie noch unterboten. Die Eltern sollte ein jeder Mensch ehren. Sie treten die Liebe Ihrer Familie mit Füßen und spucken noch darauf. Pfui!«
Ich kam zu keiner Entgegnung, denn Gurkennase schlurfte auf uns zu,
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