Den letzten beißt das Schwein
persönlichen Befriedigung.
»Heute haben Sie freie Hand. Ich vertraue voll und ganz Ihrem guten Geschmack.« Er ergriff mit beiden Händen meine Pfote.
Die Wandlung zum Positiven schrieb ich Wilperts neuer Haushälterin zu. Knall auf Fall hatte er der siebzigjährigen Frau Jüppner nach dreißig Dienstjahren gekündigt und sie durch die frisch gebackene Witwe Melanie Bluse, zarte fünfundvierzig, ersetzt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
»Ich soll die Kirche rocken?«, fragte ich etwas verwirrt.
»Wissen Sie, nach vierzig Jahren bin ich diesen langweiligen Kram einfach satt. Reverend Jones ist der gleichen Ansicht.«
»Wer?«
Wie auf Kommando öffnete sich die Tür, und ein Mann in meinem Alter betrat die Sakristei. Er hatte einen Vollbart, war um die eins siebzig groß, trug eine Nickelbrille und hatte einen kleinen Schmerbauch, der ihn gemütlich wirken ließ. Irgendwas vergessen? Ach ja, er war farbig.
»Sie sind Dieter?«, begrüßte er mich freundlich. »Ich bin George. Bruder Wilpert hat mir berichtet, dass Sie neue musikalische Elemente in den Gottesdienst eingeführt haben. Great! Heute habe ich extra meine Gospelsingers mitgebracht, um Gott richtig zu preisen. Ich wünsche uns einen phantastischen Gottesdienst.«
Sein Eifer in allen Ehren, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass amerikanische Gospelgesänge die Kerzen im steifen Westfalen anzünden würden. Aber ich war nur ein unbedeutender Organist.
Auf der Empore musste ich mir den Weg durch bestimmt zwanzig Leute kämpfen, in der Mehrzahl Frauen mittleren Alters, die mich freudig begrüßten.
»Hey, du bist bestimmt der Organist. Lass Jesus raus, Bruder«, rief mir eine korpulente Dame zu, die mich an Whoopie Goldberg erinnerte.
Ich versprach, mein Bestes zu geben, bezweifelte aber, dass ausgerechnet heute Gottes Sohn durch mich sprechen würde.
Die Kirche füllte sich, denn den Festakt wollte niemand versäumen. Auch einige geistliche Würdenträger, Kollegen und Vorgesetzte, bevölkerten die vorderen Reihen.
Ich startete mit »Wring that neck« als Vorspiel. Die meisten Bulderner hatten sich an meine Titelwahl gewöhnt, sodass nur einige ältere Damen böse hochschauten, wie ich im Spiegel sehen konnte. Beim ersten richtigen Lied ebbte eine Welle der Unruhe durch die Gemeinde. Ein amerikanischer Song. Hatte der Pfarrer vergessen, dass er in Deutschland lebte?, meinte ich von den Lippen zahlreicher Gläubigen abzulesen. Als in der zweiten Strophe der Chor einsetzte, ging das Getuschel unter. Allerdings war ich nun nicht mehr alleiniger Empfänger wütender Blicke.
Gegen Ende des Festgottesdienstes schritt Wilpert mit ein paar Karteikarten bewaffnet zur Kanzel. Waren seine Predigten bisher Ausgeburten an Langeweile gewesen, so war diese gespickt mit Humor, Aktualität und Ironie. Er spannte einen weiten Bogen, beginnend mit der heutigen Unsitte, jedes noch zu unbedeutende Ereignis riesig zu feiern — Zitat: »Wenn Erna Patzelowski sich ein neues Paar Socken kauft, wird nachmittags die komplette Familie zum Kaffeeklatsch eingeladen« —, über Anekdoten aus seiner bewegten Jugend — »waren das noch Zeiten, als wir den unbeliebten Mitschülern Juckpulver in die Hose gestopft haben« — bis hin zur heutigen Situation der katholischen Kirche — »da treten die Leute scharenweise aus, um von der gesparten Kirchensteuer das fünfundvierzigste Nintendo-Spiel zu kaufen; vielleicht sollte der Vatikan in dieses Geschäft einsteigen mit >Mario Bros versus God<«.
Ich hatte selten eine derart erfrischende Rede gehört; da konnte sich mancher Politiker eine dicke Scheibe von abschneiden.
Mit fortschreitender Dauer der Predigt tauten die Leute immer mehr auf und tuschelten angeregt mit einem Lächeln im Gesicht.
Dann kam jedoch der Paukenschlag:
»Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christi. Ich habe der Gemeinschaft der Gläubigen jetzt vierzig Jahre hingebungsvoll gedient. Es ist Zeit, in den Ruhestand zu gehen und die Jahre, die mir noch bleiben, zu genießen.«
Damit hatte keiner gerechnet. Wilpert und Ruhestand, unvorstellbar. Der Pfarrer hob die Hand, um das Geraune zu stoppen.
»Ich verstehe, dass ihr mich behalten wollt. Doch um meine Gesundheit ist es nicht zum Besten bestellt. Die Ärzte haben mir unmissverständlich klargemacht, dass ich kürzertreten muss. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Leider ist es um den Priesternachwuchs schlecht bestellt...«
»Die Kirche darf nicht geschlossen werden«, rief Bauer
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