Den Löwen Zum Frass
noch seine Mannschaft schien bereit, über den Eigner oder sein Geschäft zu reden.
Das war uns nur recht. Der Mann hatte uns einen Gefallen getan, uns für einen vernünftigen Preis an Bord zu nehmen, und selbst vor dem freundlichen Abstecher nach Berenike hatten wir keinen Grund gehabt, Krawall zu schlagen.
Vor allem bedeutete es eins: Wir mussten vor Fa- mia verbergen, dass unser Gastgeber auch nur im Geringsten karthagisch angehaucht war. Römer sind im Allgemeinen anderen Rassen gegenüber tolerant, aber einige hegen tief sitzende Vorurteile, die bis auf Hannibal zurückgehen. Famia schien eine doppelte Portion dieses Giftes geschluckt zu haben. Es gab keinen Grund dafür; seine Familie stammte aus den untersten Schichten des Aventin, war nie in der Armee gewesen oder auch nur in Riechnähe eines Elefanten gekommen, aber Famia war davon überzeugt, dass alle Karthager finstere, Kinder fressende Monster waren, die im Leben nur das eine Ziel hatten, die Stadt Rom zu zerstören, den römischen Handel und alle Römer, einschließlich Famia. Mein ständig besoffener Schwager würde wahrscheinlich in höchster Lautstärke rassistische Beschimpfungen ausstoßen, wenn etwas offensichtlich Punisches ihm in den schwankenden Weg kam.
Gut, dafür zu sorgen, dass er dem Schiffseigner nicht ins Gehege kam, lenkte mich von der Seekrankheit ab.
Tokra lag ungefähr vierzig römische Meilen weiter östlich. Inzwischen tat es mir Leid, dass ich den lautstarken Ratschlag meines Vaters nicht angenommen hatte, mit einem schnellen Schiff direkt nach Ägypten zu segeln, vielleicht auf einem der riesigen Kornfrachter, und dann den Landweg von Alexandria aus nach Westen zu nehmen. In kleinen Abschnitten nach Osten zu dümpeln, wurde zu einer harten Prüfung. Ja, ich entschied sogar, dass die ganze Reise zwecklos war.
»Nein, ist sie nicht. Selbst wenn wir meinen Bruder und Claudia nicht finden, hat die Reise einen
Zweck erfüllt.« Helena versuchte mich zu trösten. »Zu Hause werden alle dankbar sein, dass wir es versucht haben. Außerdem sollten wir es genießen.«
Ich wies sie darauf hin, dass nichts, was mich in Kombination mit dem Meer betraf, je ein Genuss sein würde.
»Du bist bald wieder an Land. Quintus und Claudia hoffen bestimmt, dass wir sie finden, weil sie inzwischen kein Geld mehr haben. Aber solange sie glücklich sind, spielt es meiner Meinung nach keine Rolle, ob wir sie mit nach Hause bringen können oder nicht.«
»Es spielt aber eine Rolle, dass dein Vater zu den Reisekosten beigetragen hat. Und wenn er seinen Sohn verliert, dazu noch die Braut seines anderen Sohnes und das Geld, das er in unsere fehlgeschlagene Mission gesteckt hat, wird mein Name im Hause der illustren Camilli an der Porta Capena so angeschwärzt sein, dass selbst ich mich nicht mehr heimtraue.«
»Vielleicht hat Quintus das Silphion gefunden.«
»Was für ein reizender Gedanke.«
Bei Tokra wurde die See viel rauer. Ich beschloss, auf keinen Fall weiterzusegeln, ob wir die Flüchtigen nun fanden oder nicht. Als wir diesmal von Bord gingen, verabschiedeten wir uns endgültig. Der schweigsame Schiffseigner überraschte uns damit, dass er rauskam und uns die Hand schüttelte. Tokra war eingeklemmt zwischen dem Meer und den Bergen, an einer Stelle, wo die Küstenebene schmaler und das im Inland liegende Gebirge in der Ferne sichtbar wurde. Die Stadt war nicht nur griechisch, sondern auch noch groß und ekelhaft wohlhabend. Die städtische Elite lebte in palastartigen Villen mit Säulengängen, gebaut aus einem sehr weichen örtlichen Sandstein, der in dem scharfen Seewind schnell verwitterte. Der kräftige Wind erzeugte Schaumkronen in der Bucht, beutelte die Blumen und Feigenbäume hinter den hohen Gartenmauern und brachte Schafe und Ziegen dazu, ängstlich zu blöken.
Wieder gab es eine Nachricht. Diesmal führte sie uns in den heruntergekommenen Teil der Stadt, denn selbst blühende, von Griechen gegründete Hafenstädte haben ihre üblen Kaschemmen für durchreisende Seeleute und die Nutten, die ihnen zu Diensten sind. In einem schäbigen Hinterzimmer dieser wüsten Gegend fanden wir Claudia Rufina, ganz allein.
»Ich bin noch hier geblieben, falls ihr kommen solltet.«
Da wir unser Kommen nie verbindlich zugesagt hatten, erschien uns das merkwürdig.
Claudia war ein hoch gewachsenes Mädchen Anfang zwanzig und sah schlanker und noch ernster aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Gesicht und Arme waren stark von der Sonne gebräunt,
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