Den Löwen Zum Frass
gestrecktem Galopp auf die armen Männer mir gegenüber zu.
Zuerst wichen sie nicht von der Stelle, dann sprangen sie entsetzt zur Seite. Wir sahen die große Katze durch die Lücke verschwinden, ein einziges Muskelpaket auf fliegenden Tatzen, Schwanz hoch, Hintern in die Luft, wie es nur Leoparden machen.
»Sie ist weg!«
Das war sie - aber nicht weit genug. Schnurgerade schoss sie auf etwas zu, das ihr wie das ideale Versteck vorkommen musste - die Agrippathermen.
»Mir nach!« Ich rannte hinter der Katze her, drängte die Vigiles, mir zu folgen, und als ich an Papa vorbeikam, schoss ich ihm einen angewiderten Blick zu.
»Hegst du einen Todeswunsch, Junge?«, begrüßte er mich. Als guter Römer, der ich war, sagte ich meinem Vater nicht, er solle in ein tiefes Moorloch springen, ohne sich mit einem Brett oder Seil abzusichern. Zudem blieb mir keine Zeit, es grob genug zu formulieren. »Ich hole Petronius«, rief er mir nach. »Der mag Katzen.«
Diese Katze würde Petro gar nicht gefallen. Außerdem streifte sie im Bezirk der Siebten umher und war daher nicht sein Problem. Ich hingegen hatte mich da irgendwie reinziehen lassen. Wer von uns war also der Dumme?
Wir versuchten das Personal der Therme zu bewegen, die Türen zu schließen. Ohne Erfolg. Zu viele verängstigte Menschen rannten durch den monumentalen Eingang hinaus. Das Personal beschloss einfach, mit ihnen wegzurennen. Alle schrien voller
Entsetzen. Als wir reinliefen, war die Leopardin verschwunden. Der Lärm war nach dem ersten Exodus nackter Männer abgeebbt. Wir machten uns daran, die Thermen zu durchsuchen.
Ich rannte durch das Apodyterium und riss Kleidungsstücke von den Haken, um sicherzugehen, dass sich die Katze nicht unter Togen und Umhängen verbarg. Die Agrippathermen sollten beeindrucken. Zusammen mit dem Pantheon bildeten sie den dramatischsten Gebäudekomplex von allem, was Augustus' organisationsfreudiger Schwiegersohn geschaffen hatte, seine sichtbare Hinterlassenschaft, nachdem ihm klar wurde, dass er trotz jahrzehntelanger treuer Dienste nie selbst Kaiser werden würde. Seine Bäder standen seit Agrippas Tod der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung, so hatte er es in seinem Testament festgelegt. Die Thermen waren elegant, erhaben, mit Marmor ausgekleidet und äußerst funktionell. Jedes Mal, wenn wir die Tür zum nächsten Raum öffneten, schlug uns eine Woge noch heißerer, dampfenderer Hitze entgegen. Jeder Schritt vorwärts wurde rutschiger und gefährlicher.
Der Weg bis hinaus aufs Marsfeld war für die meisten zu weit, aber trotzdem waren die Thermen im Allgemeinen gut besucht. Die Leopardin hatte fast alle vertrieben. Die Taschendiebe und Imbissverkäufer waren als Erste abgehauen. Die dicken Frauen, die Geld für die Bewachung der Kleidung und Ausgabe der Handtücher nahmen, hatten uns auf ihrer Flucht fast über den Haufen gerannt. Ein einsamer Sklave kauerte vollkommen verängstigt im Alipterium, wo man sich einölte. Der spartanische Heißluftraum und das dampfige Tepidarium lagen in unheimlicher Stille da. Ich ging weiter, begleitet von ein paar Vigiles. Unsere mit Nägeln beschlagenen Stiefel kratzten und rutschten über den Fliesenboden. Als wir durch die schwere, selbstschließende Tür in das Warmbad kamen, klebten uns sofort die Kleider am Körper. Ohne die normale Aufwärmpro- zedur machte uns die feuchte Hitze vollkommen fertig. Wasser tropfte uns aus dem Haar. Unsere Herzen hämmerten. Durch den erstickenden Dampf konnten wir einige nackte Gestalten ausmachen, die schimmernde, himbeerrote Haut schläfriger Badender, die sich durch das Chaos draußen nicht stören ließen, ja, es noch nicht mal bemerkt hatten. Diese Männer waren auf jeden Fall nicht vor kurzem von einer Leopardin inspiziert worden.
»Hier kann sie nicht reingekommen sein!« Die große Tür hätte sie aufgehalten. Sie bewegte sich zwar auf den leichtesten Druck, aber für die Katze war sie ein starres Hindernis.
Erleichtert zogen wir uns zurück. Neugierige Badegäste wollten uns folgen. »Bleibt hier drin, und haltet die Tür geschlossen!« Einer der Vigiles zeigte Verstand, doch er verschwendete nur seinen Atem mit dem Ratschlag. Er schwitzte so sehr, dass er sämtliche Autorität verloren hatte. Die Leute wollten wissen, was los war. Wir mussten die Katze finden.
Dann konnten wir das Gebiet sichern, auf dem sie sich bewegte.
Ich kannte mich in diesen Bädern nicht aus. Überall schienen Flure und Korridore abzugehen. Es gab
Weitere Kostenlose Bücher