Den Oridongo hinauf (German Edition)
Mund öffnet und etwas sagen will, vielleicht, dass sie mich nicht so ganz verstanden hat, wird die Tür geöffnet, und da steht der Lensmann, da sehe ich Tharald Reine zum allerersten Mal, und das Erste, was er sagt, ist mein Name, Ulf Vågsvik, und das mit einer tiefen und melodischen Stimme, die mir augenblicklich klar macht, dass ich recht hatte und Berit unrecht. Trotz allem.
Aber es kommt so, wie ich es die ganze Zeit befürchtet habe. Das kurze Gespräch wird an Lensmann Tharald Reines Schreibtisch stattfinden, der weniger als zwei Meter von dem seiner Assistentin entfernt steht. Und schlimmer noch. Denn diese kurzen und bündigen Sätze, die ich mir zurechtgelegt habe, diese
Mitteilungen
, hier bin ich, du weißt, wo du mich findest, wo ich wohne, ich bin jetzt ein anderer, ein besserer Mann – lassen sich nicht flüstern. Dann verlieren sie ihr gesamtes Gewicht. Sie müssen laut in einem geschlossenen Raum gesprochen werden, von einem Mann, der den angebotenen Stuhl dankend ablehnt, der keine Zeit hat, der nicht hergekommen ist, um die Zeit anderer zu vergeuden, ich wollte dich nur wissen lassen, dass … Und nun habe ich mich schon gesetzt. Auf einen grauen Stuhl vor Reines aufgeräumten Schreibtisch. Nachdem ich eine Stunde lang gewartet habe!
Er erteilt Jenny Lydersen einige kurze Anweisungen. In vieler Hinsicht spielt er die Rolle, die ich mir selbst zugedacht hatte. Ruf Halvar an und sag, dass es spät wird. Was aus Molde gehört? Und der Bericht? Gut. Gute Arbeit!
Ich würde gern vom Stuhl fallen und ein kleines Unwohlsein simulieren.
Das habe ich schon früher gemacht. In einem anderen Leben.
Das ist eben das Problem und das Gute. Dass es dieses Leben nicht mehr gibt.
Dann kommt er. In einem kurzen Anfall geistiger Verwirrung hätte ich fast jemanden angezeigt, aber wen denn, das bringt doch nichts, und strafbar ist es außerdem. Als er mich also fragt, wo der Schuh drückt, weiß ich ganz einfach nicht, was ich sagen soll, und dabei bleibt es. Ich sitze auf dem Stuhl und sage nichts.
Aber ich halte seinen Blick fest. Das immerhin.
Er setzt sich und legt den Kopf in die Hände.
Nach einer Weile fasse ich Mut und nicke fast unmerklich (stelle ich mir vor) zu seiner Assistentin hinüber.
Reine ist ein kluger Mann. Er fragt: »Hast du nicht einmal eine Tasse Kaffee bekommen?«
Sie kläfft fast: »Das hab ich heute schon fünfmal gesagt. Wir haben keinen Kaffee im Haus. Und du rennst doch die ganze Zeit raus und rein.«
Ich muss sie einfach bewundern. Denn wer sagt überhaupt, dass die Frau Kaffee kaufen und kochen muss? Während er die ganze Zeit rein- und rausrennt. Während sie hier sitzt und Berichte schreibt und das Telefon hütet. So geht das ganz einfach nicht!
Er steht auf. »Komm!«
Wir stürzen aus dem Büro.
Da und dort, auf der Treppe nach unten, empfinde ich zum ersten Mal eine tiefe Zuneigung zu diesem Mann. Der so unendlich gut gewusst hat, dass er schon wieder vergessen hatte, Kaffee zu kaufen. Der meinetwegen ohne mit der Wimper zu zucken diesen Schwall von Vorwürfen auf sich nimmt.
Ich bin so etwas ganz einfach nicht gewöhnt. Es macht einen gewaltigen Eindruck auf mich.
Aber hat er es jetzt eilig, was den Kaffee angeht? Nein. Wir schlendern hinunter zum Anleger, während er fragt, ob ich mich hier oben wohlfühle, das fällt mir auf: dass er fragt, ob ich mich wohlfühle, nicht, ob ich mich zum Beispiel zurechtfinde, was doch etwas ganz anderes ist. Und ich: Doch, schon. Durchaus. Bastele so gut ich kann an Magnes Boot herum. Weiter auf die Tour.
Ich plaudere hier ganz einfach mit dem Lensmann der Gemeinde, während er und ich diesem und jenem zunicken. Vor allem er, natürlich. Aber dennoch. Ganz am Rand des Anlegers setzt er sich auf einen Kasten mit Rettungsringen und dreht sich eine Zigarette. Ich bleibe stehen und schaue in das klare grünliche Wasser hinunter. Ein Aal zittert unten in der Strömung, seine Schuppen vibrieren.
»Eins musst du wissen, Vågsvik«, sagt er und gibt sich mit einem alten Zippo Feuer. »Dass im Himmel große Freude herrscht, für jeden reuigen Sünder.«
Mehr nicht. Mehr als genug.
11
Jetzt stehen wir hier vor dem Gemeindehaus, und es ist kurz nach halb zehn Uhr abends. Der Lensmann und ich, Berit und alle anderen, viele von uns haben ihre Jacken nicht angezogen, wir haben einfach die Bahre hinausgeleitet, die Bahre mit dem Toten, wir stehen fröstelnd in der Dunkelheit und hören, wie das Geräusch des Hubschraubers sich verliert,
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