Den Oridongo hinauf (German Edition)
norwegischen Klängen zuliebe, Abend für Abend, bis alle Lieder sitzen, bis sie perfekt sind, ehe sie sich nach Norden begeben, zu dem neuen Leben, das sie erwartet. Und ich kann jederzeit das Gefühl meiner eigenen Handflächen wieder verspüren, wenn sie einander begegnen zum geschmeidigen Klatsch Klatsch Klatsch, ein Teil des großen kollektiven Klatschchores, und ich sehe von der Seite Berits fröhliches Gesicht, ihren halb offenen Mund, den guten schwedischen Blick, und auf der anderen Seite des Tisches Ellen und Arne Svendsen, halb von uns abgewandt, auch ihre Gesichter den Klerken zugedreht, die sich jetzt also tief verbeugen und knicksen, bis das Familienoberhaupt, der arme Mann, nach vorn kippt und mit der Stirn auf die Klaviertasten knallt, wie zu einem Todescrescendo, ehe er sich auf dem weiteren Weg zu Boden die Vorderzähne ausschlägt, auch das muss ich leider mit ansehen, die Zähne in dem vielen Blut, das ich bald darauf registrieren werde, als ich, als einer der ersten, zusammen mit Ellen Svendsen und Lensmann Tharald Reine, bei ihm eintreffe und etwas einleite, das eine Herzmassage darstellen soll, das im Grunde aber nur eine symbolische Handlung ist, denn der Mann ist wirklich hundertprozentig tot, das ist mir klar, das ist uns klar, auch wenn die beiden Ärzte der Insel, die ebenfalls im Saal anwesend sind, den Vorschriften für Notfälle folgen und einen Hubschrauber vom Festland anfordern, während sie weitermachen, bis der Schweiß nur so strömt, bis wir dann endlich draußen in der Dunkelheit das Schrappschrapp hören, und die Bahre in aller Eile hinausgetragen wird, von fast schon joggenden jungen Männern und Frauen.
Also. Was tut man? Alles geht so schnell. Es ist eine Lawine aus Gedanken und Worten. Das Einzige, was klar zu sein scheint, wobei es rein gar nichts zu diskutieren gibt, ist, dass Evelyn van der Klerk mit dem Hubschrauber die Bahre ihres Mannes aufs Festland begleiten wird, es liegt in der Natur der Sache, dass sie noch nicht aufgegeben hat, hier auf dieser seltsamen Welt passieren immer wieder Wunder, Menschen erwachen plötzlich nach langen Reisen außerhalb ihrer Körper, wir lesen die ganze Zeit darüber in den Wochenendbeilagen der Boulevardzeitungen, und alle Erwachsenen der Insel, an der Spitze Gunnar Pastor und seine Frau, sind bereit, sich um die Kinder zu kümmern, in dieser schlimmsten und schwierigsten Nacht in ihrem noch jungen Leben, fahr du nur, fahr los, wir kümmern uns, und sie stürzt hinaus in die Dunkelheit zum Hubschrauber, der bereits ein wenig über dem Boden schwebt, aber schon als wir die Lichter über den Sund gen Binnøya segeln sehen, höre ich die ersten Frauen verzweifelt nach Tom rufen.
Er ist verschwunden. Wir finden ihn einfach nicht.
10
Ich warte an der Bushaltestelle , an diesem Sommerabend, während die Dämmerung sich senkt, hier stehe ich und warte auf den nächsten Bus, der zwangsläufig von Anders Vagle gefahren werden muss, einem rechtschaffenen Mann, dem Gegenteil von Bendik Haga, »meinem bevorzugten Busfahrer«, wie ich es leicht scherzhaft manchmal ausdrücke, wohlgemerkt, wenn Berit nicht in der Nähe ist, denn davon will sie nichts mehr hören, kein Wort, nachdem ich ihr vorgeworfen habe (ob nun zu Recht oder nicht), in einer leichtsinnigeren Vergangenheit einmal etwas mit Bendik Haga gehabt zu haben. Vielleicht nur eine einzige wilde Nacht, aber dennoch eine wilde Nacht von der Sorte, die sich der Erinnerung einprägt wie ein Sog, und die dazu führt, dass sie ihn auf eine ungesunde Weise verteidigt, wann immer ich diesen Mann verbal in die düstere Tiefe hinunterziehe. Aber wenn ich mit meinen Anklagen komme, diesen Bildern, die ich in einer Vision zu sehen glaube, dann ist also Schluss, nie wieder, sonst … was mich meiner Sache ja noch sicherer macht.
Ob der Lensmann etwas darüber weiß? Will Berit mich deshalb mit allen Mitteln an einem Gespräch mit ihm hindern? Weil sie Angst hat, die fatale Nacht, in der die beiden vielleicht nackt und in den harschen Gestank von Sex und Suff gehüllt auf die Wache geschafft worden sind, mir gegenüber erwähnt werden könnte, vielleicht durch ein Versehen? Einen Versprecher? Oder ist es so, dass alle es wissen? Dass sie hinter meinem Rücken feixen. Was lässt eigentlich das Lächeln vibrieren, mit dem Bendik Haga mich per Rückspiegel an dem Tag bedenkt, an dem ich auf der Insel eintreffe und in seinem Bus Platz nehme? Und hat nicht der ganze Bus geschmunzelt, als ich
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