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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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sie das, sie müssen doch wissen, dass der Wind die ganze Zeit da ist, alle diese Ordnungsversuche sind doch ohne Sinn? Das ist das eine. Und das nächste, was ich denke, ist, als ich zwei Schritte vom Fenster zurücktrete, denn jetzt blicken sie sich um, sie mustern das Haus von außen: Wie ist es möglich? Dass sie jetzt hier sind? Nach allem, was passiert ist? Genauer gesagt, bei der Lage, in der sie sich jetzt befinden? Er tot. Der Junge verschwunden. Und dann machen sie einen Autoausflug…
    Andererseits: Kann man ganz still in einem Raum sitzen und auf den Anruf warten, der den Schmerz verdoppeln wird? Stunde um Stunde? Muss man nicht irgendwann etwas unternehmen?
    Gunnar Pastor ist vielleicht doch nicht so dumm. Obwohl ich absolut diesen Eindruck hatte, nach allem, was ich über ihn gehört habe. Oder vielleicht konnte auch er nicht mehr in diesem Wohnzimmer sitzen, oder dieser Küche, mit einer Vorstellung, vielleicht sogar mit dem Bericht über einen barmherzigen Gott. So, wie sich jetzt alles entwickelt hat?
    Kann man überhaupt in einem solchen Moment einen Glauben an grenzenlose Gnade und Barmherzigkeit zu vermitteln versuchen? Muss man nicht eher … etwas unternehmen? Etwas tun?
    Und nun sind sie also hier. Um sich ihr neues Heim anzusehen.
    Es wirkt nicht mehr so unlogisch wie im ersten Moment.
    Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall.
    Es ist nur so, dass ich selbst anderswo sein muss.
    »Hallo?? Ist da jemand?«
    Gunnar Pfaff.
    Ich werde ihnen sagen, dass ich das Moped auf dem Hofplatz abgestellt habe, um in das kleine Tal hochzusteigen, wo zwei alte, halb eingestürzte steinerne Schafshütten stehen. Nur um nachzusehen. Sicherheitshalber. Die Insel ist nicht so klein, dass nicht alle über mögliche Verstecke, Fluchtmöglichkeiten nachdenken müssten. Wo könnte man selbst Zuflucht gesucht haben? Wenn gerade die Welt eingestürzt wäre?
    Das will ich ihnen sagen, wenn sie fragen, was mein Moped hier zu suchen hat, denn mir ist klar, dass dieser Augenblick kommen wird. Das Einzige, was ich im Moment nicht verstehen kann, ist, warum ich nicht ins Erdgeschoss hinuntergehe und sie als der Mann empfange, der ich eben bin – einer von denen, die das Haus instandgesetzt haben. Einer von denen, die außerdem ihr tiefes Mitgefühl zum Ausdruck bringen wollen. Hier begreife ich mich und mein Verhalten nicht. Das ist mir nicht fremd, aber gerade deshalb ist es auch so unangenehm, ja, peinlich, denn es gehört in eine Zeit, die vorbei ist, ist etwas, das ich gelernt habe, als Teil der Vergangenheit zu betrachten, des Vergangenen.
    Trotzdem weiche ich durch den Gang zwischen den Schlafzimmern zurück, zur Tür, zur Hintertreppe, die bis in den Keller führt, hat da übrigens jemand nachgesehen, hat jemand daran gedacht, den großen Keller unter dem Holländerhaus zu durchsuchen? Ja. Ganz bestimmt.
    Ich werde es jedenfalls nicht sein, der dort unten gefunden wird, aber da sie nun schon einmal hier sind … mir geht auf, dass es sehr wohl möglich sein kann, dass die vier gerade deshalb gekommen sind. Nicht nur, um sich das Haus anzusehen, vielleicht nicht einmal in erster Linie, um das Ergebnis unserer Arbeit zu mustern, sondern, um das Haus vom Keller bis zum Dachboden abzusuchen.
    Ist es die Begegnung mit dem Schmerz der Mutter und der Kleinen, die ich nicht ertragen kann?
    Ja. Aber es gibt noch etwas. Etwas, das mit der Reise den Oridongo hinauf zu tun hat.
    Unten im Erdgeschoss öffne ich vorsichtig die Hintertür und laufe dann in den Wald.
    Einfach so daliegen. Auf der Steinplatte vor dem Stall ganz oben im Tal. Auf der Steinplatte, die von der Sonne erwärmt worden ist. So dazuliegen und in die obersten Zweige der Espe hochzublicken, wo sich noch immer einige bleiche Blätter anklammern, unruhig zittern. Während ich selbst Ruhe gefunden habe. Es war nur ein kurzes Aufflackern. Ein kleiner Ruck im Gehirn. Es ist so, dass ich mit dem Dreirad zum Holländerhaus gefahren bin und es auf dem Hofplatz abgestellt habe, um dann durch das Tal weiterzugehen. Um die beiden alten Schafställe zu untersuchen. Die leer stehen und verfallen. In denen es nur einige alte, verrostete Konservendosen gibt und Zehntausende von den kleinen schwarzbraunen Pastillen, die längst geschlachtete Schafe hinterlassen haben. Ja, natürlich war ich im Holländerhaus. Und ja – ich habe vergessen, abzuschließen. Hier liege ich und betaste den Schlüssel in meiner Hosentasche. Den werde ich zurücklegen. Ich werde abschließen und

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