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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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von Unserem Großen Gemeinsamen Thema beschäftigen mich drei Projekte. Solange das graue Tageslicht vorhält, greife ich den dicken Stamm unten bei den Ebbesteinen an. Mit Magnes Axt, mit dem großen Hammer und mit Eisenkeilen. Ich arbeite in einer Art Wut, das merke ich. Haue tiefe Kerben und Wunden. Zerreiße den Stamm in lange Stücke, die ich am Holzofen im Wohnzimmer und in der Küche zum Trocknen aufstelle. Nach dem Essen messe ich die Millimeter draußen im Holzschuppen. Räume die Holzscheite ein. Reiße sie wieder heraus. Passe an. Lege eine glatte Wand vor die andere. Es dauert, aber es klappt. Es gibt mir die Ruhe, die der Tag mir verweigert.
    Nachdem wir zu Abend gegessen haben, verwandele ich das Mädchenzimmer oben im ersten Stock in die maskuline Höhle, die mir vorschwebt.
    Bis Berit mich bittet aufzuhören. Hammer und Säge ruhen zu lassen.
    Danach sitzen wir unten im Halbdunkel und hören Jazz.
    Dann das Nebelhorn draußen auf Skarven.
    Dieser Klang hat etwas zutiefst Melancholisches. Wie trauriges Gebrüll in der Nacht. Tagsüber fällt es mir fast nicht auf, aber abends, wenn der Klang des Horns sich zum Beispiel mit dem von Miles Davis mischt, der in sein Horn bläst … Dann entwickelt sich im Wohnzimmer eine seltsame Stimmung. Und ich denke, dass diese Stimmung weder gut noch schlecht ist. Dass sie alles überdeckt. Von außen.
    An einem dieser Abende sagt sie: »Dass mir so einer wie du begegnen sollte!«
    Nur dieser eine Satz, der gewissermaßen im Raum hängen bleibt.
    Und ich merke zu meiner Verwunderung, dass ich ihn einfach hängen lasse.
    Sie sieht mich an und lächelt, den Kopf ein wenig schräg gelegt. Wie so oft, denke ich. Aber dennoch ist das hier etwas anderes, etwas Neues.
Einer wie du
.
    Es ist eine Wortkombination, die ich bisher nicht ertragen konnte. Das hat seine Gründe. Ich habe sie in meinem Leben so oft gehört, immer war sie negativ geladen. Einer wie du.
    Mit solchen Formulierungen wurde ich von den Straßen und Fußballplätzen meiner Kindheit verjagt, durch die Grundschule gepeitscht, Sozialämter und andere öffentliche Höhlen rein und raus, zum Schluss den Oridongo hinauf, bis zu…
    Bis zum Hier und Jetzt.
    Aber nun kann ich es ertragen. Nun kläffe ich nicht auf irgendeine Weise zurück, weil ich plötzlich auf diese Nuance aufmerksam werde, diese haarfeine Schwingung in ihrer Stimme, die von einer tiefen Zärtlichkeit berichtet. Für mich. Für einen wie mich.
    Ich frage nicht einmal, was sie meint.
    Warte.
    Nein … eigentlich warte ich auch nicht … schließe nur die Augen. Höre sie durch das Zimmer kommen und sich auf die Seekiste neben dem Stuhl setzen. Diesmal nicht auf den Schoß. Na gut. Ihre Hand, die über mein (wenn ich wagen darf, ihr zu glauben) wohlgestaltetes Ohr streicht. Die Muschel.
    »Du bist einfach gekommen«, sagt sie. »Mit deinem blöden Köfferchen. Mit Pappkoffer nach Vaksøy. Du meine Güte! Der hat nur den halben Weg von der Fähre nach Viken durchgehalten.«
    »Tja«, sage ich. »Was sollte ich denn auch weiter damit? Ich hatte doch das Ziel der Reise erreicht. Sozusagen. Es war doch nur noch eine halbe Stunde mit dem Traktor.«
    Im Wohnzimmer wird leise gelacht.
    Gibt es schönere Geräusche auf der Welt? Als die eines Mannes und einer Frau, die in der Dämmerung beieinander sitzen und leise lachen, während es im Holzofen knistert?
    Ein lautes Lachen wäre etwas ganz anderes. Dieses leise Lachen hat etwas an sich. Etwas Intimes und Verständnisinniges.
    »Ungebeten und frech«, sagt sie jetzt. »Nein. Nicht frech. Eigentlich war es ganz unschuldig. Das habe ich doch verstanden.«
    »Naja … so ganz ungebeten war ich wohl nicht. Oder hast du das, was du geschrieben hast, gar nicht gemeint?«
    »Komm mich doch mal besuchen. Das habe ich geschrieben, meinst du nicht? Und dann bist du mit sechs Unterhosen, drei Paar Socken und vier Hemden eingezogen. Aber du hast auf dem Diwan geschlafen. Das immerhin. Du warst ein lieber und vorsichtiger Junge.«
    Dazu sage ich nichts.
    Jetzt nimmt sie mich am Ohr. Meinem rechten Ohr. Streicht mit den Fingern an der schmalen Innenkante entlang.
    Sagt: »Aber jetzt will ich, dass Schluss ist mit diesem Unsinn mit dir und Bendik. Ich will das ganz einfach nicht mehr!«
    Tippt leicht mit ihrem Finger in mein Ohr. »Hast du gehört?«
    Was soll ich sagen? Soll ich die Rolle des Sechsjährigen spielen und behaupten, dass er angefangen hat? Versuchen, sein höhnisches Grinsen im Spiegel über dem

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