Den Oridongo hinauf (German Edition)
Leben und unter fast unmöglichen Umständen trifft, werden diese Erinnerungen ungeheuer wertvoll, ja, unbezahlbar. Sie werden, wenn nicht heilig, dann doch zumindest … ja, was denn? Leuchtend? Nein. Auch das nicht. Aber.
Ich selbst auf dem Diwan in den Wochen, nachdem ich hergezogen war. Oft, wenn Berit schlafen gegangen war, oder lange, ehe sie aufstand. Ich hörte mir Hilde Sottengs leicht rauchgeschädigte Stimme an, die vielleicht sogar einen Nachklang von Whisky und Gin aufwies. Geplauder und Geplapper. Wetter und Wind. Interviews und Platten. Lokalradio. Nahradio, wie es früher einmal hieß.
Dann eines Nachts. Berit in der Tür. Nur im Hemd.
»Du verlässt mich doch nicht, Ulf?«
Aber so meint sie das nicht. Der schwedische Blick. Der Sulitjelma-Sog.
Setzt sich auf den Diwan, schiebt ihre Hand in meine.
Da ist die durchtriebene Nuttenstimme. Es ist so leicht, sie vor sich zu sehen, nackt im Studio, Selbstgedrehte rauchend. Wie mag sie auf die Jungs wirken, die draußen auf dem Meer das Schleppnetz ziehen? Die wie ich eine Frau haben, die sie lieben. Aber trotzdem…
Später in dieser Nacht legt sie sich zu mir auf den Diwan und flüstert mir ins Ohr, so dicht, dass ich ihre Zungenspitze spüre, wie Hilde Sotteng aussieht. Hinter dem Schleier der Ätherwellen. Sogar mit Kleidern. Das ist gemein. Es ist Frau gegen Frau und deshalb extrem brutal, aber dennoch muss ich Berit recht geben, als wir einige Wochen später im Einkaufszentrum auf die Stimme von Binnøy stoßen. Erschütternd. Wie gerade aus dem Dschungel entlaufen. Ein krummer Orang-Utan, der mein Geschlechtsorgan sofort ängstlich die Form eines unreifen Tannenzapfens annehmen lässt. Wie nach einem eiskalten Bad im April.
Doch, doch. Ein winziges Lachen mitten im ganzen Elend. Weißt du noch? Du kleiner Dussel!
Es tut ab und zu gut, »du kleiner Dussel« genannt zu werden.
Dann ist Jenny Lydersen da. Nicht im Radio, sondern am Telefon, irgendwo auf der Insel. Wir hören Wind und Meer. Die Suche geht mit voller Kraft weiter. Es kommt gar nicht in Frage nachzulassen, im Gegenteil, wie es uns scheint. Es ist kalt. Aber trocken. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er irgendwo Schutz gesucht. Es gibt eine Reihe von Beispielen für … Und morgen. Sowie es hell wird…
Mit anderen Worten: heute.
Und jetzt wird es hell.
Berit und ich legen uns ins Bett, ich liege auf deinem Platz, Magne, und ich nehme sie im Halbschlaf in den Arm und sie mich.
Nach einer Weile kann ich die Trommeln ganz deutlich hören.
Weit, weit oben den Oridongo hinauf.
12
Ich werde um kurz nach halb zehn wach. Und zwar, weil der Kater sein Mäulchen an meinen Bartstoppeln reibt. Beharrlich. Berit schläft wie ein Stein, ich kann sehen, dass sie auf das Kissen gesabbert hat, ich stehe auf und schleiche mich vorsichtig aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer. Mache im Ofen Feuer und gehe in die Küche und schalte den Wasserkocher ein.
Die beiden Mobiltelefone auf dem Tisch.
Überprüfe mein eigenes. Eine Mitteilung von Arne Svendsen. Etwas Neues?
Erinnere mich, dass ich irgendwo im Schlaf das zweimalige Piepsen gehört habe.
Oder habe ich mehr gehört?
Ich bin nicht sicher.
Also schreibe ich zurück an Arne, nein, nichts Neues.
Ich frühstücke zusammen mit dem Kater, er mampft, hat den Kopf schräg gelegt und hebt den Schwanz in die Luft, ich schneide Brot und Käse ab und trinke Tee, da ich nach dem Abend, der Nacht, nicht einmal den Gedanken an Kaffee ertragen kann. Schalte das Radio ein. Leise. Hilde Sotteng macht offenbar eine winzige Pause, ich stelle sie mir auf einem Feldbett auf dem Gang vor dem Studio vor, schnarchend wie Berit, was ich höre, ist eine fremde Stimme, ein junger Mann, Arne Svendsen behauptet, dass Studenten und Schüler die Sache übernehmen, wenn Hilde Sotteng ein seltenes Mal schlafen oder einkaufen oder sich in anderer Hinsicht wie ein normaler Mensch benehmen muss.
Es gibt nichts Neues.
Das ist eben das Neue, denke ich.
Der Junge ist verschwunden, und das nun schon seit über zwölf Stunden. In der Nacht hatten wir zwei Grad unter null. Es wird bestätigt, dass Horst van der Klerk nicht mehr unter den Lebenden weilt, für den Fall, dass irgendwer daran gezweifelt hat oder an Wunder glaubt. Jetzt wird Trauermusik gehört. Irgendetwas Klassisches, das mich an meine Kindheit denken lässt. Oder den Gedanken vermeiden lässt. Weil ich dem Gedanken nämlich den Hals umdrehe, sowie er in mir auftaucht.
Aber ich denke an Tom.
Das schon.
Das
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