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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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gestern Vormittag. Ich musste also zum Zahnarzt. Ich hatte das Gefühl, die Füllung könnte jeden Moment herausfallen.«
    »Ja, du warst doch auf dem Rückweg…«
    Jetzt ärgere ich mich ein wenig, merke ich. Soll ich hier erzählen oder nicht?
    Diese Reaktion registriert sie offenbar, denn nun nickt sie eifrig.
    »Also setze ich mich auf das Moped. Und das erzähle ich, weil dieses Moped vorn eine Ladefläche hat, es ist ein Dreirad mit einer Ladefläche vor dem Lenker, und das wird bei dem, was später passiert ist, eine nicht unwesentliche Rolle spielen.«
    Abermals eifriges Nicken.
    »Und alle hier auf der Insel wissen ja nur zu gut, was wir heute Mittag für Wetter hatten, es war dichter Nebel, als ich nach Laugen gefahren bin, und vielleicht noch dichter auf der Rückfahrt…«
    Ich erzähle von dem zauberischen Licht, das durch Risse in der niedrigen Wolkendecke fällt. Von meiner eigenen Aufmerksamkeit. Dem geringen Tempo. Der Konzentration. Meiner Hochstimmung nach meiner Rede in der Cafeteria.
    Aber nun schüttelt sie kurz den Kopf und lächelt. Nicht die Brücke. Jetzt nicht die Brücke.
    Also fahre ich in meinem Bericht fort. Ich erzähle, dass ich, kurz bevor ich den stillgelegten Gemischtwarenladen erreiche, spüre, dass ich mich einer Grenze nähere. Dass etwas Wichtiges geschehen wird. »Gunnar Larsen hat das Wort Wunder benutzt. Kannst du dich damit identifizieren? Ergibt es für dich einen Sinn?«
    »Nein. Ich würde es eher so sagen, dass ich das Gefühl habe, dass der Alltag sich für mich öffnen wird. Seinen wahren Inhalt zeigen. Das klingt vielleicht dumm…«
    »Das finde ich überhaupt nicht. Ich finde im Gegenteil, dass es schön klingt. Du hattest also ein Gefühl, dass etwas Wichtiges passieren würde? Ehe du die Milchrampe erreicht hast, wo…«
    »Ach, ja. Das muss ich sagen. Aber ich hatte keine Ahnung, dass … als ich den Jungen auf der Milchrampe sah, war ich so überrascht, als ob ich nicht dieses Gefühl gehabt hätte … dass etwas anders wäre.«
    »Und da sitzt er also ganz allein.«
    »Ja. Er wirkt fern und unzugänglich…«
    Ich wiederhole alles, was ich zu Berit und Tharald gesagt habe. Kleidung. Stiefel. Ich lasse sein lautloses Weinen aus. Ich weiß nicht warum. Doch. Ich glaube, um ihn nicht bloßzustellen. Um nicht indiskret zu sein. Berit kann es erfahren. Und seine Mutter. Und der Lensmann. Aber es geht die zweitausend Seelen, die jetzt vor ihren Radioapparaten sitzen, hier draußen auf den Inseln, nichts an.
    »Und dann fährst du also zu Berit und dir nach Viken?«
    »Ja. Er steigt selbst auf die Ladefläche. Er legt sich in Embryohaltung hin. Ich habe den Eindruck, dass er friert, auch wenn er dick angezogen ist. Dann decke ich ihn mit meiner Jacke zu und fahre nach Viken. Es ist ja nicht weit.«
    »Und er sagt nichts?«
    »Nein. Kein Wort.«
    »Hast du dir überlegt, was geschehen sein kann?«
    »Das haben wohl alle, die davon gehört haben. Es waren ja viele dabei, als er verschwunden ist. Seine Jacke hing noch da. Niemand hat das Verschwinden einer anderen Daunenjacke gemeldet. Soviel ich weiß.«
    »Ja, wir wollen uns ja nicht in die Arbeit der Polizei einmischen, aber wir müssen doch alle an den Radioapparaten fragen, ob jemand eine blaue Daunenjacke vermisst. Größe?«
    »Es war die Jacke eines Erwachsenen. Außerdem trug er altmodische Skistiefel. Wie man sie heute nicht mehr hat.«
    Und so weiter. Wir verlegen uns jetzt auf bloße Spekulation. Das lässt sich ja auch kaum vermeiden. Wo kann er gewesen sein? Woher stammt seine Kleidung? Fast fünf Tage lang haben Hunderte von Menschen auf der ganzen Insel nach ihm gesucht. Die restliche Bevölkerung hat ihre Häuser durchsucht, ihre Keller und Dachböden. Ihre Scheunen und Ställe. Aber kein Tom van der Klerk.
    Kann er im Gemischtwarenladen gewesen sein und dort die Kleider und Stiefel gefunden haben?
    Später am Abend kommt die Antwort. Nein. Da war, ehe die Polizei nachgesehen hat, schon seit Jahren niemand mehr gewesen.

18
    Jetzt kommen ruhige Tage. Und wenn ich ganz ehrlich sein soll, dann sind diese Tage so ruhig, dass es mich fast ärgert. Ich bin sicher nicht anders als die meisten anderen auch. Freue mich über ein wenig Aufmerksamkeit. Aber immerhin: Ich komme in den Fernsehnachrichten. »Der Mann aus der Stadt, der zum Bauern und Fischer wurde« und so weiter. Berit lacht schallend, als wir im halbdunklen Wohnzimmer sitzen und sehen, wie ich, Ulf Vågsvik, im Holzschuppen für Ordnung sorge,

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