Den Oridongo hinauf (German Edition)
liefen.«
»Und kein Wort? Den ganzen Abend kein Wort?«
»Nein.«
Wir sitzen eine Weile ebenfalls wortlos da. Dann fragt er: »Was zum Teufel kann da passiert sein? Er muss doch die ganze Zeit hier gewesen sein. Und diese Kleider … Diese viel zu große Daunenjacke. Der Pullover, den seine Mutter auch noch nie gesehen haben will. Und die Stiefel…«
»Wart ihr im alten Laden?«
»Natürlich nicht. Türen und Fenster sind doch plombiert. Deshalb … wir werden den noch heute Nacht durchsuchen. Ich lasse Leute vom Festland herüberkommen.«
»Na gut, aber du musst mir sagen, wie ich mit der Sache umgehen soll. Wie ich mich zu verhalten habe. Ich habe ihn doch gefunden. Alle Zeitungen haben über sein Verschwinden berichtet. Es war im Fernsehen.«
Er überlegt. »Ja, das bleibt dir natürlich nicht erspart. Und…«
»Nein«, sage ich. »Das weißt du ja alles.«
Letzteres überhört er. Er sagt: »Du erzählst es ganz einfach, so, wie es war. Das ist alles. Vielleicht spricht er ja schon morgen.«
Das glaubt er ja wohl kaum, und sicher ist jedenfalls, dass ich es nicht glaube. Tom wird morgen garantiert nicht sprechen.
Dann klingeln unsere Telefone gleichzeitig.
17
Hilde Sotteng ist wirklich kein Augenschmaus, und ich schäme mich, als ich hier sitze, weil ich in einem solchen Augenblick auf solche Gedanken kommen kann, dass ich überhaupt Hilde Sottengs Aussehen bewerte, wo die Sache dermaßen ernst ist, ja, geradezu so mystisch, dass wir also, genauer gesagt, ich, auf einer Milchrampe einen zwölf Jahre alten Jungen gefunden haben, einen, den wir alle, inklusive Hilde Sotteng, seit Tagen für tot gehalten haben. Es ist einfach unglaublich, dass ich
in einem solchen Augenblick
im Studio von Radio Binnøy sitzen kann, das also im Vergleich zu meinen frühen Vorstellungen durchaus eine Enttäuschung ist, und dass ich mich mit Hilde Sottengs großer pilzähnlicher Nase beschäftigen kann, und mit den schwarzen Mittessern an ihrem Kinn, die sie aus Mangel an Zeit oder Interesse nicht ausdrückt. Sie dreht an Knöpfen und zieht an Hebeln, und die ganze Zeit redet sie wie ein Wasserfall, während sie Zigaretten dreht und aus einem Pappbecher kalten Kaffee trinkt. Ich will keinen kalten Kaffee und halte mich zurück, am Ende muss ich ihr ganz einfach erklären, dass ich ihr keine Details über das nennen kann, was passiert ist, was ich also erlebt habe, solange wir nicht auf Sendung sind, weil … ja, weil ich Angst habe, dass ich es nicht schaffen werde, mich mehrmals zu wiederholen, auch wenn ich meine Geschichte bisher nur Berit und Tharald erzählt habe, zumindest, was die Details angeht. Ich habe noch nie im Radio zu anderen gesprochen, in diesem ausgezeichneten Medium, das mir in meiner Kindheit und Jugend solche Freude gemacht hat, und jetzt sitze ich hier in einem Studio, das ein wenig einem übergroßen Kleiderschrank ähnelt, dessen Wände mit Eierkartons beklebt sind, und ich habe Angst, dass ich einfach stecken bleiben werde, wenn die rote Birne über der Tür aufleuchtet, die uns beide daran erinnern soll, dass wir jetzt gesendet werden. Dass ich, wenn ich also zu den Details komme, stecken bleibe. Die Motivation verliere.
Und also: enttäuscht. Ich schweige und denke an die vielen Nachtstunden, in denen ich auf dem Diwan im Wohnzimmer gelegen habe und Berit in Gedanken untreu gewesen bin, weil Hilde Sottengs Stimme im Lokalradio so aufreizend in meinen Gehörgängen gespielt hat, diese ein wenig heisere, sexy Stimme, von der ich jetzt weiß, dass sie nur ein Produkt von Tidemanns Rødmix ist, ich habe sie mir in kurzem Rock mit Schlitz vorgestellt, mit glänzenden Strümpfen an Oberschenkeln und Waden, oft in einem Studio mit großen Aussichtsfenstern zu Meer und Mondschein, und hier schlurft sie herum in einer Art Overall mit Hängehintern, und das in einem Studio, das vor allem an die Innenseite eines Eierkartons erinnert.
Noch sieben Minuten bis zur Sendung.
Sie drückt eine gelbe Kippe aus und reißt zugleich ein neues Blättchen ab. Zieht am Tabak. Dreht mit einer Hand. Eleganz und Schweinerei. »Aber was zum Teufel spielen wir, Ulf?«
»Spielen?«
Ihre freien Finger laufen über die Tastatur. »Nach dem Intro heiße ich willkommen und bla bla bla, die wichtigsten Themen, die sich heute Abend natürlich auf eines begrenzen. Dann eine Melodie. Aber welche? Ulf Lundell liegt auf, aber den will ich nicht. Rock passt jetzt einfach nicht.«
Ulf. Wir sind also per Vornamen. Soll ich sie
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