Den Oridongo hinauf (German Edition)
den Ortskern von Laugen, es ist eins der wenigen Häuser auf der Insel, die aus einer verschwundenen Zeit noch übrig sind. Ich habe gehört, dass es einem der alten Großkaufleute gehört haben soll, einem Mann mit sehr viel Macht und Land. Jetzt also bewohnt vom Arm des Gesetzes hier draußen und von seiner Frau, was sie von Beruf ist, weiß ich nicht, sie arbeitet irgendwo drüben auf Binnøya. Sie ist eine von denen, die bald jeden Tag die Brücke benutzen werden.
Es ist so still, als wir aus dem Wagen steigen, den Robert Lakseng nachlässig quer in die Auffahrt stellt. Kein anderes Auto zu sehen. Niemand kommt aus dem Haus, um uns willkommen zu heißen. Ich habe das deutliche Gefühl, dass mehrere Personen sich von uns entfernt halten, was jetzt geschehen soll, soll sich in ruhigen Formen abspielen. Aber was soll hier geschehen? Das weiß ich doch nicht. Doch. Ich werde Tom gegenübertreten, natürlich. Und was passiert dann?
Aber als wir die Treppe zu der großen Glasveranda hochsteigen, steht sie in der Tür. Die Mutter. Ihr so hübsches Gesicht ist verhärmt und mitgenommen. Die holländischen Apfelbäckchen erinnern mich jetzt an das Fallobst im Garten meiner Großeltern, als ich klein war.
Und doch lächelt sie, als sie mich die Treppe hochkommen sieht. Versucht es zumindest.
Was dazu führt, dass ich mit einer Spontaneität, die mir ganz und gar fremd ist, ja, die mir naturwidrig erscheint, die Arme um sie lege und sie an meine Brust drücke. Und sie lässt es geschehen, das ist so, denn ich bin der Mann, der ihren Jungen gefunden hat. So stehen wir einige Sekunden lang da, und ich spüre, dass ihre kleinen Brüste sich gegen meinen Overall pressen, ehe ich mich losreiße, den Griff löse, den ich selbst geschlossen habe, und frage, wo Tom ist.
Er sitzt in der Küche, kann sie erzählen, sie weist hinter sich ins Haus und will mir den Weg zeigen, aber ich schüttele den Kopf, und Robert Lakseng spielt auf meiner Seite, er führt sie zu einem Sofa und einem gedeckten Kaffeetisch.
Tom sitzt auf einem Hocker am Küchentisch und schaut hinaus auf ein leeres Vogelbrett im Garten. Er hat sich mir halb zugewandt, aber als ich den Raum betrete, zeigt er keinerlei Reaktion.
Ich setze mich an den Küchentisch und schaue hinaus auf dasselbe Vogelbrett wie er. War dort jemand? Vögel, die ich durch mein Hereinkommen verscheucht habe? Das kommt mir nicht wahrscheinlich vor. Auf dem Brett gibt es keinerlei Krümel oder Samenkörner. Ein Meisenring, der offenbar seit dem letzten Winter im Apfelbaum hängt, pendelt grau und abgenagt im Wind.
Ich muss an eine Wanduhr denken. An die Zeit, die in der Bewegung zermahlen wird. Aber: keine Zeiger. Das kommt mir in dieser Situation richtig vor. Die Zeit verrinnt, und hier sitzen Tom und ich in einer Art Vakuum. Umgeben von Zeit. Darin eingemauert. Ich spüre, dass ich gern so sitzen kann. Lange. Ich habe schon oft so gesessen. Zum Beispiel am Küchentisch zu Hause im Wohnblock. Als ich in Toms Alter war, oder jünger. Ich bin daran gewöhnt. Ich konnte in Taschen aus totaler Stummheit fallen, einfach so sitzen und Menschen und Tieren unten auf Wegen und Rasenflächen zusehen. Den Tauben. Den schwanzwedelnden Hunden. Alten Damen, auf dem Weg von und zu … was denn? Wo? Sie wirkten so zielstrebig, das weiß ich noch. Als ob sie sich die ganze Zeit zwischen klar definierten Zielen bewegten. Was sie sicher auch taten. Aber damals konnte ich nicht verstehen, dass jemand so leben könnte.
Eine Katze läuft durch das Gras. Bleibt plötzlich stehen und wirft aus alter Gewohnheit einen Blick auf das leere Vogelbrett. Das sehe ich deutlich. Dass sie das immer so macht.
Aber reagiert der Junge auf das Erscheinen der Katze? Nein. Das tut er nicht.
Die Katze geht weiter.
Es ist so still drüben im Wohnzimmer. Sie warten. Ich wünschte, sie gingen ganz einfach. Hätte ich die Tür hinter mir zuziehen sollen? Nein. Das glaube ich nicht.
Nach einer Weile, einer halben Stunde vielleicht, sage ich: »Gehen wir nach draußen. Möchtest du das?«
Auch jetzt keine Reaktion. Kann er die norwegische Sprache vergessen haben?
Ich bin aus irgendeinem Grund sicher, dass das nicht der Fall ist. Ich glaube, er hört und versteht. Ich bin überzeugt davon, dass er antworten kann, wenn er will. Wenn er sich das nur selbst erlaubt. Oder kann es andere geben, die ihn daran hindern? Andere in ihm selbst? Dieser Gedanke ist unheimlich. Er macht mir Angst, denn ich habe es selbst erlebt. Dass
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