Den Oridongo hinauf (German Edition)
an den Wänden. Befestigt mit von der Zeit vergilbten Heftzwecken, wie Punkte aus Elfenbein vor dem blassblauen Hintergrund. Der große Globus auf dem Schreibtisch, den er mit seinem dicken Zeigefinger drehte und drehte, dem Finger, den er in regelmäßigen Abständen auf mich richtete, auf uns, während der Globus sich um seine eigene Achse drehte, ehe der Oberst ihm neue Bewegung und Tempo gab. Wo? Wer? Warum? Wie oft? Wieder und wieder, und wir sagten nichts, weil es nichts zu sagen gab, nichts, was andere hätten verstehen können.
Erzähle ich das hier einem zwölf Jahre alten Jungen? Ja. Ich erzähle von den langen Stunden in Oberst Jesus Maria Gambadas Büro, von unserer eigenen Stummheit gegenüber dem Redestrom des Obersten, bald freundlich, bald drohend, und ich erzähle ihm, dass er und ich in Stummheit zusammenhalten. Denn es gibt nichts zu sagen. Wir müssen den Oridongo hinauf, egal, was gesagt oder nicht gesagt wird, und als dann die Papiere auf den Tisch kommen, können wir nur unterschreiben. Unsere Namen auf die gepunkteten Linien setzen, auf die Jesus Maria Gambada seinen dicken Zeigefinger legt. Ist er unser Freund? Glaubst du, der Oberst ist unser Freund, Tom? Denk darüber nach.
Und als es endlich vorbei ist, als ein hölzerner Hammer auf die nackte Tischplatte schlägt, werden wir hinaus- und hierhergeführt, von Gambadas stummen Dienern, sie sind ebenso stumm wie wir, und sie führen uns durch die engen Gassen, wo die Kloake mitten auf die Straße fließt, und wo die Menschenmenge sich an die verdreckten Hausmauern presst und uns mustert … Ist das Ekel? Zorn? Beides? Aber was schert das schließlich uns?
Dann stehen wir also unten im Hafen und warten, umgeben von diesem geschäftigen Markt, dem Geruch von Kräutern und verdorbenem Fisch, auf jeder Seite einen von Oberst Gambadas schweigenden Adjutanten, sie stehen da wie geschnitzte Statuen aus Ebenholz, sie tragen farbenfrohe Nesi, wie es hierzulande Brauch ist. Wir wissen, dass sie so stehen können, bewegungslos, einen oder zwei Tage lang, wenn das nötig sein sollte, es ist kein Zauberwerk, wie viele glauben, sondern eine angelernte Eigenschaft, sie haben es schon als kleine Knaben geübt. Sie sind dazu erzogen worden, das eingesperrte Vieh zu bewachen, aber jetzt benutzen sie diese Methode im Dienste der Aufrührertruppen, was also gerade jetzt, gerade hier, bedeutet, dass sie uns bewachen, sie warten mit uns auf das flachbödige Schiff aus Holz und Eisen, das uns den Fluss hinauftragen soll.
Und als ich das gesagt habe, das ist fast unheimlich, stößt der Kapitän unten im Sund in seine Trillerpfeife, es ist das Signal, dass die Fähre von Binnøya gleich unten in Laugen anlegen wird.
Reagiert der Junge? Nein. Er sitzt ganz still da und starrt ins Nichts.
19
Sie schmiegt die Wange gegen meine Brust. Ich wünschte mir so sehr, ich könnte an einen Gott glauben, damit ich einem höheren Willen für solche Augenblicke danken könnte. Denn die Hauptperson selbst will keinen Dank. Berit hält solche Wunder für etwas ganz Natürliches.
Sie sagt: »Denk heute Abend nicht mehr daran.«
Ich begrabe die Hand in ihren Haaren. Ihre warme Kopfhaut.
»Hörst du?«
»Ja. Ich werde gleich abschalten. Das ist ganz einfach.«
»Du bist lieb, du! Weißt du das? Du bist ein ganz entsetzlicher Starrkopf.«
Ich denke ein wenig darüber nach.
»Es hat doch wohl niemand erwartet, dass du nach Laugen fährst und ein Wunder vollbringst. Das war ein Versuch.«
»Es ist schwer. Ich war da, wo er jetzt ist. Irgendwie ist es gut dort drinnen. Es verlockt, dort zu bleiben.«
»Wirklich?«
»Das weißt du doch! Da war ich, als du den ersten Brief geschickt hast. Ich war an Bord eines Schiffes. Ich konnte hören, wie die Motoren die Schotten zittern ließen. Ich habe getan, was mir gesagt wurde, habe meine Wache angetreten, aber sowie ich konnte, habe ich mich darin versenkt. In der Vorstellung, diesen verschlammten Fluss hochzufahren. Durch den dichten Dschungel.«
»Ach so … aber du hast doch geantwortet. Am Ende. Es hat lange gedauert, aber du hast geantwortet.«
»Ja.«
»Ein Schiff? Das ist ein schönes Bild.«
Das finde ich auch. Ein Schiff, das fährt. Tag und Nacht. Egal, was du tust oder nicht tust. Du fährst ganz einfach den Fluss hoch.
Sie küsst meine Brust. »Und dann stand ich am Kai, sozusagen? Als das Schiff anlegte?«
»Ja. Aber das war zum Glück wirklich so.«
Das hier ist auch wirklich. Es ist real und zutiefst
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