Den Oridongo hinauf (German Edition)
ich.
»Ja, du kannst es ihr ja sagen, wenn sie kommt«, sagt Ellen. »Falls sie noch nicht von selbst auf den Gedanken gekommen ist. Es kann doch ein Trost sein, dass sie alte Traditionen weiterträgt.«
Er will schon antworten, verkneift es sich dann aber glücklicherweise.
Wir machen uns wieder an die Arbeit.
Um kurz nach zwei kommen sie. Ich stehe zum Anstreichen in Toms Zimmer, und als ich den Wagen unten auf dem Hofplatz höre, gehe ich zum Fenster. Gunnar Pfaff steigt vorne aus. Die drei anderen haben hinten gesessen. Ich sehe, dass sie zwischen ihren Kindern gesessen hat. Gunnar spricht die kleine Paula an, er geht in die Hocke und zeigt zur Scheune hinüber. Erklärt irgendetwas. Vielleicht, dass sie dort ein oder zwei Kaninchen in einem Stall halten kann. Wenn sie will. Jedenfalls ist es etwas, das ein kleines Mädchen gern hört, denn sie nickt ernsthaft und scharrt schüchtern mit dem Fuß im Kies. Weist das, was der Pastor liefern kann, durchaus nicht zurück. Die Mutter lächelt und blickt auf sie herab. Fährt ihr kurz durch die Haare. Tom starrt durch die Hauswand hindurch.
Ich öffne die Fenster, als Ellen und die beiden anderen Frauen unter mir auf die Schwelle treten. »Tom! Hier ist dein Zimmer! Komm hoch!«
Er ist der Einzige, der mich nicht ansieht.
Aber Berit irrt sich. Ich hatte am Vortag mit keinem Wunder und keiner Revolution gerechnet. Und damit rechne ich auch jetzt nicht. Ich rechne damit, dass es dauern wird. Und ich habe Zeit. Ich habe Geduld. Das lernt man dort, wo ich herkomme.
Soll er, denke ich. Nicht ihm nachlaufen. Warten, bis er von selbst kommt.
Ganz so wird es an diesem Tag aber nicht kommen, es wird sich überhaupt herausstellen, dass das, was ich für eine Art Grundregel halte, einfach falsch ist. Aber so denke ich eben, als ich dort stehe. Es wirkt so logisch. So vernünftig.
Evelyn (ich bringe es nicht über mich, »die Klerk« zu sagen, wie einige andere das tun) kommt zusammen mit der Kleinen nach oben und umarmt mich. Sie ist so dankbar. Sie dankt mir. Ich bücke mich und umarme die Kleine. Sie hält sogar still. Die Mutter fängt an, das Bett des Jungen zu beziehen, wir haben es von der Wand weggerückt.
Wir plaudern, während sie damit beschäftigt ist. Ich sage, dass das hier das beste Zimmer ist. Dass die anderen Zimmer auch schön sind, aber das hier ist das beste. Nach meiner bescheidenen Meinung. Ich als kleiner Junge hätte mir dieses Zimmer ausgesucht. Ja, als Erwachsener übrigens auch. Wenn sie den Schreibtisch, der in einigen Tagen geliefert werden wird, vor das Fenster stellen, wird Tom hier sitzen und sehen können, was unten auf der Straße und auf dem Meer passiert. Das mögen kleine Jungen. Aus den anderen Zimmern hier oben hat man Blick auf Felder und Wald. Auch das ist natürlich schön. Aber dennoch. Dieses Zimmer hier oben ist das perfekte Jungenzimmer.
Ein lauter Wutschrei erreicht uns vom Hofplatz her. Wir stürzen zum Fenster, das noch immer offen steht, und sehen die Katze zwischen die Büsche vor der Scheunenwand taumeln. Mitten auf dem Hofplatz steht Tom mit dem Rücken zu uns und einem großen Hammer in der Hand. Einer der jungen Heizungsmonteure schüttelt ihn.
Evelyn sagt irgendetwas Verzweifeltes in ihrer Muttersprache.
»Lasst ihn los!«, rufe ich. »Ich rede mit ihm!«
Als ich nach unten komme, ist Tom verschwunden. »Verdammt, er hat mit dem Hammer auf die Katze eingehauen!«
Die Mutter jammert noch immer auf Niederländisch. Die anderen kommen aus dem Haus.
»Wohin ist er gelaufen?«, frage ich.
Der Heizungsmonteur zeigt auf die Felder hinter dem Haus.
Die Mutter will hinterherlaufen, aber Arne und ich beruhigen sie. Das hier ist nicht gefährlich. Diesmal werden wir ihn nicht verlieren.
Aber ich will Arne nicht dabei haben. Ich will allein hinter Tom herlaufen. Wenn sie ihre Idee, dass ich versuchen soll, zu ihm durchzudringen, auch nur im Geringsten ernst meinen, dann muss ich jetzt allein gehen dürfen. Wir können nicht als Herde angerannt kommen. Nicht einmal als eine so kleine Herde, wie Arne und ich sie bilden würden.
»Ich versteh das nicht«, weint die Mutter. »Er liebt Tiere doch so!«
»Das hier hat nichts mit Tieren zu tun«, höre ich mich selbst sagen.
Aber womit hat es dann zu tun? Es klingt klug, fast wie der Satz eines weisen Mannes. Also total falsch. Das Einzige, was ich ganz sicher weiß, ist, dass er die Katze
gesehen
haben muss. Er hat also nicht durch sie hindurchgeblickt. Ich laufe nicht.
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