Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
Vom Netzwerk:
auf Inselchen und Meer. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen Tagtraum und Trance. Wenn ich mir das nicht nur einbilde. Mir einbilde. Diese Kunst beherrsche ich doch.
    Ich nehme seine Hand und hebe mit einem langen Zug die Schnur. Seine Hand folgt mir bereitwillig. Wir spüren, wie die Strömung unten in der Tiefe mit dem Nylonfaden spielt.
    Noch nichts.
    Ich schiebe einen Priem ein und ziehe an meiner eigenen Schnur. Auch hier ist es leer.
    Reinert steht ausdruckslos hinter dem feuchten Fenster. Ein halb ausgewischtes Porträt. Dreht bei, quer vor einem Fjordarm, der sich zu einer Flussmündung hinzieht, ungefähr auf halber Strecke zwischen Neset und dem Holländerhaus.
    Als wir gerade wieder in den Windschatten von Inseln und Schären kommen, wird Toms Arm plötzlich nach unten gerissen, und jetzt ist er einwandfrei anwesend. Jetzt hat er Angst. Ist jedenfalls ungeheuer überrascht. Ich packe die Schnur und spüre mit ihm, wie da unten in der Tiefe gerissen und gezerrt wird, ein blinder Wille, der versucht, sich vom Haken zu befreien. Tom schaut verwirrt zuerst mich, dann seine Hand an, denn jetzt lasse ich los und sage, er soll einholen, soll die Schnur einholen, Tom, aber er holt nicht ein, er sitzt nur da und umklammert die grüne Nylonschnur, die er sich bei einem Wurf instinktiv um die Hand gewickelt hat, und die Kraft unten zieht seine Hand immer wieder auf die Meeresoberfläche zu, es tut weh, das kann ich sehen, und das kann man doch nicht mit ansehen, das ist ja der Sinn der Sache, deshalb ziehe ich die Schnur in langen Zügen hoch, während Tom mit einer schlaffen toten Schleife dasitzt, aber dann merke ich, dass auch ich den Kontakt zu der Kraft dort unten verliere, ein Gefangener bricht aus und verschwindet in der kalten Dunkelheit.
    Ich lasse die Schnur wieder los und setze mich. Er versucht nicht, sie zurückzuhalten, deshalb muss ich aufstehen und ihm wieder eine Schlinge um den Zeigefinger legen.
    Lächelt er? Oder ist das eine Art Grimasse? Schwer zu sagen, jedenfalls ist es vermutlich kein Lächeln, was immer es sein mag, es ist nur irgendetwas, das sich innerhalb weniger Zehntelsekunden abspielt. Das gilt nicht, durchfährt es mich. Es war außerdem nicht wirklich. Ich habe es mir nur eingebildet. Geträumt. Gewünscht.
    Aber dann sitzt er. Diesmal sitzt er, das spüre ich. Ich gebe Reinert einen Wink, und der schaltet den Motor in den Leerlauf. Ich versuche, Tom allein ziehen zu lassen, ich bitte ihn, allein zu ziehen, aber das will er nicht, oder er kann es nicht, und das ist vielleicht auch nicht so schwer zu verstehen, es ist etwas Großes, und wir ziehen dieses Große und Unbekannte zusammen hoch, Meter um Meter, Faden um Faden, und was ist jetzt mit seinen Augen? Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, ich registriere nur, dass er klarer wirkt und nicht mehr so ängstlich wie vorhin, er ist jetzt gewissermaßen mehr dabei, und ich zeige in die grüne Dunkelheit unter uns, und zum ersten Mal gehorcht er, folgt meinem Zeigefinger, und dann sehen wir beide es gleichzeitig: den riesigen weißen Bauch, der unter uns große Kreise beschreibt, der im Meer immer höher steigt, um dann jählings zu verschwinden, als er uns wieder den Rücken zukehrt und versucht, sich loszureißen, zur Seite zu jagen, aber diesmal hilft es nichts, wir haben ihn jetzt, einen riesigen silbrig glänzenden Seelachs, der sich auf die Seite legt und die Meeresoberfläche schaumig peitscht, und Reinert von Neset ist plötzlich da, und packt resolut und treffsicher zu, zieht den Fisch an Bord, der bleibt liegen und zuckt und hüpft und verwirrt die Schnur in einem wahnwitzigen Totentanz.
    Und dann erleidet Reinert von Neset einen seiner seltenen Anfälle von Redseligkeit, er gibt wirklich einen ganzen Hauptsatz von sich, er reicht Tom den Stock und sagt: »Den Kerl kannst du auf den Kopf schlagen, Junge!«
    Das will der Junge nicht, er sitzt wie gelähmt da, ist aber hundertprozentig anwesend, ängstlich, eifrig, aufgeregt, und also demonstriert Reinert, was er meint, und haut dem Neuankömmling auf die Schläfe, dass das Blut nur so spritzt, dann schneidet er die Kehle durch und bricht dem Fisch das Genick, was zwischen den Windstößen laut und deutlich zu hören ist.
    Später bekommen wir Seelachs, drei, vier Kilo, feinen Speisefisch, doch Tom hat sich abgemeldet. Er war hier zu Besuch, jetzt ist er wieder nach Hause gegangen.
    Wir steuern zum Steg unterhalb des Holländerhauses, wo die Kinder von den Inseln

Weitere Kostenlose Bücher